Na, hest dien Amidaam överstahn? Wessen Gesichtsfarbe auch am dritten Tag nach der großen Feier noch zwischen gelblich bleich und weiß pendelt, schaut auf eine intensive Leidenszeit zurück. Dabei bezeichnet Amidaam das Stadium des Filmrisses: Man selbst kann sich an nichts erinnern, Freunde aber kennen die Ursachen: Na teihn Buddel Beer is he in Amidaam fullen.
Nur in einem übertragenen Sinne bedeutet Amidaan „Ohnmacht“. Das Wort ist verwandt mit dem französischen amidon, das für „Wäschestärke, Kraftmehl, Kleister“ steht und auf das lateinische amylum zurückgeht. Wer also in Amidaam fullen is, ist wörtlich in Mehl oder Wäschestärke gefallen. Die Analogie zur bildlichen Verwendung, die sich erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt hat, offenbart sich in der blassen Gesichtsfarbe: Fro vun Amidaam leeg in Amidaam.
Dem hochdeutschen Vorbild nachempfunden sind die Formen Ahnmacht oder Ohnmacht. Daneben hat sich auch das ältere Ahmacht erhalten, wobei die Vorsilbe ah- für „un-“ steht. Je nach Region wird Amidaam in Norddeutschland recht unterschiedlich ausgesprochen. Das Spektrum reicht von Ohmdoom über Obendamm bis Amedumm.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es zahlreiche Verwendungen für das aus Weizen gewonnene Amidaam-Pulver: beim Maler, in der Weberei und vor allem zum Stärken feiner Leinenwäsche. Heute kannt man fast nur noch in Amidaam fallen oder sacken oder pedden in der Bedeutung „ohnmächtig werden“. Gern wird allerdings mit beiden Bedeutungen gespielt, wie in dem Abschiedsgruß Tschüß, un pedd ok nich in Amidaam.
Übrigens: Das Wort Amidaamwater ist bisher nur als „Stärkewasser der Wäscherinnen“ belegt. Vielleicht liegt seine Zukunft aber in der Bezeichnung eines hochprozentigen Getränks, schließlich hat sich für Sekt auch längst Knallkööm durchgesetzt.
Annerwegens gaht de Göös ok barft! Wer der Urlaubserzählungen der Arbeitskollegen überdrüssig ist, mag sich den Einwand nicht verkneifen, dass die Gänse andernorts auch barfuß laufen. Oder andersherum: Auch hier lässt es sich leben. Dabei verweist annerwegens auf alles, was nicht-heimisch ist. Und das kann im Nachbarhaus sein – so’n Larm kannst du annerwegens maken – oder am anderen Ende der Welt: Ik weet, ik weet. Annerwegens schient de Sünn 24 Stünnen den Dag.
In der Hanseszeit kannte man Wendungen wie ander wech und ander wegene, die noch deutlicher als annerwegens auf einen Ort verweisen, den man „auf anderen Wegen“ erreicht. Durch hochdeutschen Einfluss kann man für „woanders“ auf Platt nun auch schon woanners hören, daneben bestehen aber auch noch ältere Formen wie annerweerts oder annersteed. Gern verwendet man im Plattdeutschen anner- auch in Zeitadverbien, die dann üblicherweise auf Ereignisse in der Vergangenheit verweisen: annerdags steht für „gestern“ oder „neulich“, annerjohrs für „in den Vorjahren“, annertiets allgemein für „früher“ und annerletzt für „kürzlich, letztens“.
Wer sich gern in der Fremde aufhält, weiß: Annerwegens warrt ok Broot backt. Und wer sich in der einen Stadt nicht wohlfühlt, kann ok annerwegens ünnerkamen. Daneben kann annerwegens auch ohne Ortsbezug gebraucht werden, dann bedeutet es „anders“: Fett kümmt an den Kohl, dat dat annerwegens na wat smecken deit. Und es gibt Sätze, in denen annerwegens eigentlich allerwegens heißt, also „überall“: Ik heff di annerwegens söcht. Oder: De Katt geiht annerwegens bi.
Übrigens: Überzogene Ortsverbundenheit kann den Blick auf die Welt durchaus verengen: Lever in Hamborg in en hollen Boom as annerwegens to Huus.
Wat hett de Lütt för en ansläägschen Kopp! Dass Eltern die körperliche und geistige Entwicklung ihrer Kinder besonders positiv bewerten, ist nachvollziehbar. Doch nicht immer können sich Lehrer einem solchen Urteil anschließen. Wem ein ansläägschen Kopp bescheinigt wird, gilt als klug und hat für jedes Problem eine Lösung parat. Was aber möglicherweise nur am guten Schulunterricht liegt: Bi den Lehrer warrt ok den dümmsten Dööz de Kopp ansläägsch.
Das Adjektiv ansläägsch ist von dem Verb anslaan „anschlagen“ abgeleitet. Dieses anslaan hat als eine Nebenbedeutung „nützen, sich positiv auswirken“, vor allem im Zusammenhang mit Medizin: De Hoostensaft hett goot anslaan. Typisch für das Plattdeutsche ist die Adjektiv-Endung -sch, die auch in Wörtern wie achtertücksch, füünsch oder muulsch zu finden ist.
Nicht selten wird der ansläägsche Kopp ironisch eingesetzt: Wat hest du doch för en ansläägschen Kopp! Am Tonfall erkennt man rasch, dass hier jemand angesprochen wird, der durch eine ungeschickte Tat oder Bemerkung aufgefallen ist. Nur selten erscheint ansläägsch zusammen mit anderen Wörtern als Kopp. Wer gern viel isst und entsprechende Körperrundungen aufweist, hett en ansläägschen Magen. Und ertragreiches Ackerland kann man bezeichnen als ansläägsch Land.
Übrigens: Das mehrdeutige anslaan transportiert häufig eine ironische Brechung: Mann, hett he en ansläägschen Kopp – wenn he de Trepp daalfallt!
Du büst ok so apart bi’t Eten. Zumeist schwingt eine deutliche Kritik mit, wenn man das plattdeutsche apart oder apartig verwendet. Denn das bedeutet „merkwürdig, sonderbar“ – ganz im Gegensatz zum Hochdeutschen. Dieser Unterschied in der Bewertung kann leicht zu Missverständnissen führen. Während die aparte Frau eine angenehme und geschmackvolle Persönlichkeit ist, wirkt de aparte Fro auf ihre Mitmenschen zumindest eigenartig. Im 18. Jahrhundert taucht das französische à part erstmals im Plattdeutschen auf. Ursprünglich bedeutete es „beiseite, abgesondert“ und dann auch „besonders“. Im Hochdeutschen erfuhr das Wort rasch eine positive Aufladung im Sinne von „angenehm auffallend, außergewöhnlich“. Im Plattdeutschen hingegen wird das Andersartige als negativ aufgefasst: Mit so’n apartig Frisur kann se man glieks na St. Pauli gahn.
Doch auch die positive Sicht ist auf Platt möglich; allerdings bevorzugt man dafür das Substantiv: Se hett jümmers wat Aparts an. Und von einer Wohnungseinrichtung heißt es: Disch un Stöhl weern ganz wat Aparts.
Schließlich kann apart auch „zusätzlich, extra“ bedeuten. Einen aufgetragenen Wunsch gibt man weiter mit der Bemerkung: Dat hett se mi apartig seggt. Und der Bananenhöker auf dem Fischmarkt ruft seinem Kunden zu: Kiek her, du kriggst noch dree, veer, fief Stück apart!
Übrigens: Zum gleichen Wort gehört der hochdeutsche Abort wie auch dessen plattdeutsche Entsprechung Apart oder Apartemang. Orte, an denen es bekanntlich sehr menschlich zugeht: Wo rückt dat hier na Minschen, sä de Voss, dor keem he op en Apart.
Appelsina, seute Trina! Der Ruf des Straßenhändlers lässt vermuten, dass er nur aus Reimgründen das a hinten an die plattdeutsche Apfelsine gehängt hat. Doch weit gefehlt. Denn eben dieses a zeigt, dass das plattdeutsche Wort eine größere Nähe zum Original als seine hochdeutsche Schwester, die Apfelsine.
Dass diese Frucht ihren Namen von der Form und der Größe eines Apfels hat, ist augenfällig. Wer oder was aber verbirgt sich hinter Sina? Und warum leisten wir uns im Deutschen für diese Frucht zwei Wörter? Schließlich kennen wir neben der Apfelsine auch noch die Orange.
Die zwei Wörter verweisen auf die Handelswege, auf denen die Südfrucht um 1700 zu uns gelangte. Über Italien als Orange. Und über die Niederlande sowie über Hamburg als Sinasappel oder Appelsina: als Apfel aus China. In dieser Frage gibt es in Deutschland eine klare Nord-Süd-Trennung: im Süden kennt man die Orange, im Norden die Apfelsine, was wiederum auf die plattdeutsche Appelsina zurückzuführen ist.
Dass im Hochdeutschen das a am Wortende verschwinden konnte, hängt sicher damit zusammen, dass man „China“ nicht mehr erkannte. Auf Platt hingegen haben sich die Spuren nach Fernost deutlicher erhalten.
Weg mit den ganzen Backbeernkraam! Manch eine Überraschung gibt es, wenn man im Frühjahr seine Gartengeräte oder die Sommerkleidung ansieht. Dabei zeugt die Bezeichnung Backbeernkraam von einer deutlich negativen Bewertung. Gemeint sind immer mehrere Dinge, Krimskrams eben. So sagt man zu einem Messi: Du hest ja sounso nix as Backbeernkraam.
Bei Backbeern handelt es sich eigentlich um getrocknete und als Backobst für den Verzehr konservierte Birnen. Daneben gibt es eine zweite Bedeutung, und zwar für wertloses Zeugs, vor allem für die Habseligkeiten armer Leute. Wenn Backbeern zu Backbeerkraam erweitert wird, unterstreicht die Endsilbe den Eindruck des unnützen Sammelsuriums. Der Flohmarkt ist der geeignete Ort, will man aus all den Dingen, die man wegzuwerfen vergessen hat, ein wenig Kapital schlagen: Du glöövst gor nich, wat för’n Backbeernkraam de Lüüd för een Euro mitnehmt. Auf der anderen Seite hört man wirklich begeisterte Stimmen: In all den Backbeernkraam heff ik en feine Kaffekann funnen. Mit einem verächtlichen Unterton geht auch das gesamte Hab und Gut als Backbeernkraam durch: Ist die Beziehung zerbrochen, ruft die entnervte Frau: Pack dien Backbeernkraam, un denn af mit di. Und nach einer Entlobung heißt es über die Geschenke: Dor hebbt wi em den ganzen Backbeernkraam wedder mitgeven.
Übrigens: Im Sprachgebrauch ist aus Backbeernkraam auch Bickbeerkraam sowie Bickbeermoos geworden. So sagt man von jemandem, der geschäftlich keine Zukunft hat: Mit sien Bickbeermoos kummt he nich wieder.
Dat is hier nich so begäng. Alles, was in einer Gemeinschaft nicht üblich ist, wird zumindest kritisch beäugt oder gar kategorisch abgelehnt. Das niederdeutsche Wort begäng beschreibt dabei treffend das Normalmaß. Wer die Dorfkneipe aufsucht, muss wissen: Dree Beer, dat is hier so begäng. Auf gebräuchliche Handlungen kann sich begäng ebenso beziehen wie auf die äußere Erscheinung. So muss sich der Banklehrling tadeln lassen: Gröne Hoor in de Spoorkass – dat is hier nich begäng.
Bereits von 700 Jahren kannte man im Niederdeutschen begenge und begange. Der Zusammenhang mit „Gang“ ist leicht ersichtlich, wobei für den Umlaut eine alte Form des Dativs oder des Plurals verantwortlich ist. Auch in der norddeutschen Umgangssprache sind Ausdrücke wie in Gang sein oder in die Gänge kommen durchaus üblich.
Der Gang steht hier zunächst für das Gehen, dann auch für jede Art von Bewegung oder Aktion; auch begäng kennt man in der Bedeutung „im Gange“: dor is wat begäng. Später erst bezog man begäng auf die häufigen und damit erwartbaren Abläufe. Vom normalen Menschenverstand heißt es: Wi maakt dat so, as dat op düsse Eer hier begäng is.
Hüter von Sitten und Gebräuchen unterstreichen die Gültigkeit ihrer Aussagen gern mit einem Hinweis auf bewährte Traditionen: Dat is hier al siet Noahs Tieden begäng. Wobei angesichts moderner Lebensstile durchaus ein wehmütiger Unterton mitschwingen kann: Dat ole Platt – dor is meist nix mehr vun begäng.
Übrigens: Die Vorstellungen darüber, was begäng ist und was nicht, befinden sich in einem ständigen Fluss. Und nicht alle Veränderungen schlagen negativ zu Buche. Immerhin hieß es vor noch nicht einmal hundert Jahren: Dat de Froens Büxen dräägt, dat is hier nich begäng.
Dor kann ik mi nich op besinnen. Ein gestörtes Erinnerungsvermögen kann durchaus vorteilhaft sein – sei es in einem Untersuchungsausschuss, sei es nach einem ausgedehnten Reeperbahnbummel. Das plattdeutsche sik op wat besinnen steht üblicherweise für das hochdeutsche sich an etwas erinnern oder sich entsinnen. Gern schweifen die Gedanken in die Kindheit zurück, so dass eine typische Frage auf einem Klassentreffen lautet: Kannst du di noch op Lehrer Meier besinnen? Dabei sind auch Konstruktionen ohne op gebräuchlich: Grootvadder kann ik mi noch ganz in’n Düüstern besinnen.
Das Wort Sinn kommt mit seinen Verwandten allein in der deutschen und in der niederländischen Sprache vor. Ursprünglich liegt ihm die Bedeutung „Gang, Weg“ zugrunde; dies zeigt sich etwa in Gesinde, mit dem man zunächst den Gefährten und Reisebegleiter bezeichnete. Aus dem althochdeutschen sin für „Verstand, Wahrnehmung“ haben sich im heutigen Deutsch vielfältige Abstufungen entwickelt, wie Unsinn, ersinnen, entsinnen, sinnvoll, sinnlos oder besinnungslos.
Im Hochdeutschen kennt man besinnen vor allem in der Wendung sich eines Besseren besinnen und in besonnen handeln. Es ist kennzeichnend, dass in Platt noch Bedeutungen gebräuchlich sind, die in Hoch weitgehend verblasst sind. So heißt es zur Einleitung eines neuen Gedankens gern: Wenn ik mi recht besinnen do ... Dieses Nachdenken kann durch eine zeitliche Komponente ergänzt werden: Ik mütt mi eerst en beten besinnen sagt jemand, der auf andere Gedanken kommen möchte. Und wenn nicht zu erkennen ist, wie sich das Wetter entwickelt, befindet man: Dat Wedder besinnt sik noch.
Übrigens: Jakob Besinndi ist eine scherzhafte Bezeichnung für einen unentschlossenen Menschen. Doch vor der Entscheidung steht das Denken, daher gilt die Mahnung: Dat du di besinnst, ehr du beginnst.
So bilütten kann dat ok warm warrn! Nach einem langen Winter wächst rasch der Ruf nach sommerlichen Temperaturen. Die Ungeduld drückt dabei das kleine Wort bilütten aus, das ähnlich benutzt wird wie das hochdeutsche allmählich. Meistens beschreibt bilütten zeitliche Übergänge. Das kann neutral geschehen wie in bilütten warrt dat düüster. Oder es schwingt ein drängender Ton mit: Du kunnst bilütten ok dröög achter de Ohren warrn.
Einige Wörterbücher erklären bilütten mit „bei kleinem“. Für Nicht-Norddeutsche dürfte eine solche wörtliche Übersetzung wenig hilfreich sein, zumal lütt und klein eher auf eine räumliche als auf eine zeitliche Dimension hinweisen. Doch der englische Ausdruck little by little, der ebenfalls mit „allmählich“ zu übersetzen ist, zeigt an, dass die Grenzen zwischen diesen Ebenen auch in anderen Sprachen fließend sind.
Neben bilütten gibt es weitere plattdeutsche Funktionswörter mit bi-, die zeitlich ausgerichtet sind, so bides („indessen, während“) oder bitieden („rechtzeitig“). Bei anderen dominiert der Ortsbezug, etwa bei bian („nebenan“), bihuus („zuhause“) oder bisiet („zur Seite“). Die Art und Weise kann durch bilangs („nebenbei, beiläufig“) oder bito („zusätzlich, außerdem“) zum Ausdruck gebracht werden.
Ergänzt sich eine Gruppe nur langsam, heißt es: So bilütten kaamt se all anklackern. Und nicht nur der Letzte muss sich anhören: Dat warrt ok bilütten Tiet, dat du kummst. Entwickeln sich Ereignisse sehr schleppend, lässt sich bilütten sogar steigern: bilütten un lütten kummt de Kraam in Gang. Schließlich ist auch die Erfüllung lang gehegter Wünsche in bilütten angelegt: So bilütten, seggt Fro Schütten, kummt mien Dochter ok an’n Mann.
Übrigens: Dass Redlichkeit mitunter durch ergänzende Maßnahmen begleitet sein will, wussten bereits die Altvorderen: De ehrlich dör de Welt will, mutt braav sien Arbeit doon un sik bilütten wat tostehlen.
Buten is mi dat to bruttig! Auch wenn die Menschen lange auf den Sommer gewartet haben, so bereiten den meisten Zeitgenossen Temperaturen jenseits der 30 Grad Probleme. Vor allem die Auswirkungen der bruttigen, also der schwülen und drückenden Luft sind dabei unangenehm: Dat is so bruttig, dat mi de Sweet so den Puckel daallöppt.
Zu bruttig gibt es im Hochdeutschen kein verwandtes Eigenschaftswort, doch erkennt man rasch die Verwandtschaft mit Brut, Brot, Brühe oder brüten und brauen. Als Komponenten finden sich in allen Fällen „Wärme“ und „Belebung“. Ihren Ursprung finden diese Formen in dem indogermanischen Stamm bh(e)re, der für „heiß aufwallen“ steht.
Ausgesprochen wird bruttig zumeist als bruddig. Daneben gibt es mit brottig, brüttig, brüttelig, brütterig oder brutt eine ganze Reihe von Varianten. Drückende Luft oder brütende Hitze heißt auch Brutt, Brütten, Bruttluft oder Brutthitten.
Dat is bannig bruttig in de Waschköök beschreibt vor allem eine drückende Atmosphäre, während die Wärme im Vordergrund steht in der Aussage: Dat is bruttig as in de Sauna. Dabei wissen die Menschen aus Erfahrung, dass bei entsprechenden Wetterlagen Gewitter kaum ausbleiben können: De Luft is so bruttig. Ik bün bang, wi kriegt noch Blitz un Dunnerslag.
Übrigens: In den Ferien ertragen Schüler Bruttluft viel besser als während der Schulzeit: Dat is en ganz anner Snack as in de bruttige Klass to sitten.
Nu is aver daddeldu! Nicht nur in der Sprache der Seeleute setzt dieser Ausspruch einen klaren Endpunkt. „Jetzt reicht es“ würde man auf Hochdeutsch sagen, oder: „nun ist es aber genug.“ Die Möglichkeiten der Anwendung von daddeldu reichen vom Signal zum Aufbruch, wenn sich ein bierreicher Kneipenabend dem Ende zuneigt, bis hin zur Aufforderung an das lärmende Kind, endlich den Geräuschpegel herunterzufahren. Gerade in solchen Situationen lässt sich der Nachdruck durchaus steigern: Wenn ik daddeldu segg, denn meen ik ok daddeldu.
Verbreitet ist daddeldu vor allem in den größeren Hafenstädten. Mitgebracht haben es nämlich die Seeleute, die auf den internationalen Schiffen englisch sprachen. Vor allem beim Be- und Entladen konnte man oft that’ll do (oder ausgeschrieben that will do) hören, und zwar immer dann, wenn ein angestrebtes Ziel oder eine bestimmte Menge erreicht war. Dieses that’ll do hat man dann lautlich an das Plattdeutsche angeglichen, was sich vor allem auf das englische th auswirkte.
Die Herkunft des Wortes daddeldu macht es nachvollziehbar, dass als Spottname für Seeleute bereits im 19. Jahrhundert Kuddl Daddeldu gebräuchlich war. Doch erst Joachim Ringelnatz verhalf diesem Namen zu überregionalem Ansehen, indem er für eine Reihe von Balladen und Moritaten den Seebären Kuttel Daddeldu erfand.
Nicht verwandt mit dem Seemann Kuddl Daddeldu ist Jan Daddel. Auch hier ist ein ursprünglicher Name zu einer Gattungsbezeichnung geworden, die man auf einen komischen Kerl oder Gernegroß bezieht. So sagt man von einer eigenwilligen jungen Frau: Dat is nich licht to, den richtigen Jan Daddel för ehr to finnen.
Übrigens: Es war Achim Reichel, der 1991 Kuddl Daddeldu neues Leben einhauchte: auf seiner bislang erfolgreichsten Langspielplatte „Melancholie und Sturmflut“. Eines steht fest: Mit Kuddl Daddeldu is dat noch lang nich daddeldu.
Wat sliekerst du hier vör Dag un Dau üm’t Huus rüm? Wer zur frühen Morgenstunde an einem ungewöhnlichen Ort aufgegriffen wird, muss sich auf Nachfragen einstellen. Im Plattdeutschen beschreibt Dag un Dau die Morgendämmerung, entsprechend herrscht vör Dag un Dau noch tiefe Dunkelheit. So sagt man über jemanden, der etwas zu verbergen hat: De is blots bi Dag un Dau ünnerwegens.
Für das hochdeutsche Wort Tau kennen wir zwei Bedeutungen, die sprachgeschichtlich voneinander zu trennen sind. Zum einen steht Tau für „Seil“ oder „Strick“. Dieses Wort ist aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übernommen worden, auf Platt heißt es entsprechend Tau oder Stropp. Zweitens bezeichnet Tau feinen Niederschlag, diesen nennt man auf Platt Dau.
Zwillingsformen wie Dag un Dau erfreuen sich in der bildhaften niederdeutschen Sprache großer Beliebtheit. Man denke an Pütt un Pann oder Düt un Dat – aber auch aus dem Hochdeutschen sind uns Formen wie Kind und Kegel oder Mann und Maus vertraut. Auffällig ist, dass Dag un Dau auch in geänderter Reihenfolge als Dau un Dag erscheint. Außerdem gibt es Spielformen wie Daak un Dau oder: De Seelüüd güngen vör Dag un Nevel an Boord. Verwendet wird Dag un Dau zumeist mit vorangestelltem vör – dann herrscht noch finstere Nacht. Ein wenig Helligkeit hat sich bereits eingestellt bi Dag un Dau.
Übrigens: Nur Frühaufsteher sünd al bi Dag un Dau op de Been. Von ihnen sagt man nicht ohne Bewunderung: He geiht jeden Morgen bi Dag un Dau ut’t Huus.
De düüstern Morgens hebbt de hellsten Daag! Der plattdeutsche Volksmund weiß: Gerade in der dunklen Jahreszeit täuscht der erste Eindruck oft über den weiteren Verlauf eines Tages. Dabei steht hell in klarem Kontrast zu düüster, das mit „dunkel, finster, trübe“ zu übersetzen ist. Auffällig ist, dass es neben düüster auch duuster gibt, außerdem sind düüstern und duustern bekannt.
Das Wort düüster strahlt weit über das Niederdeutsche hinaus. So finden wir es seit etwa 500 Jahren auch im Hochdeutschen. Ähnlich verhält es sich mit dem schwedischen dyster, das in der Hansezeit aus dem Niederdeutschen übernommen wurde. Unschwer ist die Verwandtschaft mit dem englischen dust und dem hochdeutschen Dunst auszumachen, die Verbindung reicht allerdings bis in die slavischen Sprachen hinein, wie sich an russisch tusklyi zeigt, das nichts anderes heißt als „dunkel“.
Finsternis wurde von den Menschen immer schon als unheimlich und bedrohlich empfunden. So ängstigt man Kinder mit: De Düvel luert buten in’n Düüstern. Eher verschmitzt ist diese Prognose gemeint: Wenn de Sünn vun’n Heven fallt, sitt wi all in’n Düüstern. Nur Verliebte wissen der Dunkelheit ihre Reize abzugewinnen: In’n Düüstern is goot Smüüstern.
Übrigens: steigern lässt sich düüster auf besonders bildhafte Weise, indem man ein Wort davorsetzt: stickendüüster, balkendüüster, pickendüüster. Aber auch dieses Verfahren ist steigerungsfähig. Man denke an die undurchdringliche Finsternis, die umschrieben wird als himmelstickensteernbalkendüüster.
Dat geiht narms duller her as in de Welt! Dass sich in der menschlichen Gemeinschaft alle nur erdenklichen Verrücktheiten nachweisen lassen, weiß man auch in Norddeutschland. Die Grenzen des Erträglichen muss dabei jeder für sich selbst abstecken. Für „jetzt reicht’s“ ruft man: Nu warrt dat aver doch to dull, wohl wissend, dass sich dieser Zustand kaum steigern lässt: Duller as dull geiht nich.
Das niederdeutsche dull hat ein breiteres Bedeutungsspektrum ausgeprägt als das hochdeutsche toll. Ursprünglich steht die Vorstellung von aufgewirbeltem Staub, Rauch oder Dampf, der die Orientierung behindert. Daraus hatte sich bereits im Altnordischen die Bedeutung „unsinnig, töricht“ abgeleitet. Das englische dull umfasst heute dumm, träge und matt, es bezieht sich also auf Menschen wie auf Situationen oder Gegenstände.
Tiervergleiche mit dull verweisen ausnahmslos auf ungewöhnliches Verhalten, teilweise in Anlehnung an die hochdeutsche Tollwut: He löppt as en dullen Hund. Andere Symptome führt man auf den Verzehr von belastetem Schweinefleisch zurück: He stellt sik an, as wenn he vun de dulle Söög freten harr. Und auch den Zustand schwerer Verliebtheit beschreibt dull trefflich: He löppt rüm as en dullen Kater.
Greift man zur Kennzeichnung menschlichen Verhaltens auf dull zurück, ist zumeist Wut im Spiel: He is dull op mi heißt es, wenn man jemanden gegen sich aufgebracht hat. Mit en dullen Kopp geht schließlich derjenige vor, der dickköpfig auf seinem Standpunkt beharrt.
Übrigens: Wegen der verschiedenen Bedeutungsnuancen von dull lässt sich oft erst in der konkreten Situation entscheiden, wie ein Satz gemeint ist. Du büst ja rein dull kann sowohl auf Dummheit wie auch auf fröhliche Ausgelassenheit des Angesprochenen zielen. Doch damit genug – anners warrt dat noch to dull.
Nun kumm mi blots nich wedder mit diene Exküsen! Wenn eine Arbeit nicht sachgemäß ausgeführt wurde, sind Nachfragen vorprogrammiert. Das Wort Exküsen fasst die Entschuldigung sowie die darauf folgenden Erklärungsversuche und Ausflüchte zusammen. Das Entschuldigen steht im Vordergrund, wenn es heißt: Hannes maakt Exküsen wegen siene Mathe-Arbeit. Mehr um die Ausflüchte geht es, wenn man sagt: Mit allerhand Exküsen wull he sik dor rutsnacken.
Unschwer erkennt man, dass Exküsen französischen Ursprungs ist. Seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind Formen von excuse in Deutschland belegt. Während es aber aus dem Hochdeutschen wieder verdrängt wurde, hat es sich im Plattdeutschen bis heute erhalten. Allerdings häufig mit einem negativen Beiklang.
Wenn jemand umständlich agiert und viele überflüssige Dinge tut, sagt man: He maakt allerhand Exküsen. Wenn ein Sportler etwa zu viele Rituale vor einem Wettkampf absolviert, muss er sich von seinen Mitstreitern anhören: So’n Exküsen maakt wi hier nich! Die Aufforderung, ohne Umschweife zur Tat zu schreiten, ist eindeutig: Jungs, maakt nich so veel Exküsen. Schließlich drückt Exküsen unerwartete Aktivitäten aus, wenn es von einem Pubertierenden heißt: De Jung maakt al Exküsen mit de Deerns.
Übrigens: Die plattdeutschen Exküsen treten fast ausschließlich in der Mehrzahl auf. Doch es gibt auch Ausnahmen, wie etwa die leicht gestelzt anmutende Höflichkeitsformel zeigt: Mit Verlaub un Exküüs, as de Franzoos seggt...
Du löppst woll Fastelavend! Wer durch bunte Kleidung auffällt, wird gern mit Karnevalstreiben in Verbindung gebracht. Das gilt nicht allein für die Jecken im Rheinland, sondern in ähnlicher Weise für den Norden der Republik. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war Fastelavend überall ein fester Termin für Umzüge und rauschende Feste, den man anderswo als Fasching oder Fastnacht kennt.
Da die Germanen Abend und Nacht zum folgenden Tag zählten, ergibt sich sowohl für die hochdeutsche Fastnacht als auch für den plattdeutschen Fastelavend, dass es sich um den Vorabend der Fastenzeit handelt. Ursprünglich bezeichnete Fastelavend also nur den Dienstag vor Aschermittwoch; allerdings erweiterte sich die Bedeutung zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert auf den Zeitraum vom Donnerstag bis zum Dienstag. Um die ungezügelten Feiern einzudämmen, verkürzte man etwa in Hamburg den Umfang im 18. Jahrhundert auf drei Tage; weitere 100 Jahre später beschränkte man sich weitgehend auf einen Tag – seither steht Fastelavend für den Rosenmontag.
In früheren Zeiten galt Fastelavend als fester Termin, etwa wenn es um Fristen für Pacht- und Zinsabgaben ging, von denen es bereits 1356 hieß, sie wären zu begleichen twischen wynachten unde vastelavende. Auch Bauernregeln berücksichtigen diesen Termin. So heißt es mit Blick auf die Ernte: Fastelavend veel Ies: warrt de ganze Oornt man mies. Besseres verheißt der Regen: Fastelavend veel Natt: gifft dat wat in Schüün un Fatt.
Zum Fastelavend gibt es eine Vielzahl regionaler Bräuche, bei denen üblicherweise das üppige Mahl (rökerten Swienskopp), der Tanz und der Umzug eine Rolle spielen. In Verkleidung und unter musikalischer Begleitung zogen Knechte und Mägde von Haus zu Haus, wo sie mit Schnaps und Bier bewirtet wurden und sich Gaben erbaten, traditionell waren dabei häufig Heißwecken im Spiel: Düsse Deel is holl un boll, Se hebbt hete Wecken, dat weet ik woll. Dor in’t Schapp, dor is dat Nest. Geevt Se mi een af, denn sünd Se de best.
Übrigens: Die Zeiten der ungezügelte Völlerei, des Trunks und der Ausschweifung gehören in den meisten norddeutschen Regionen der Vergangenheit an. So bleiben uns auch die Grobheiten erspart, die sich vor allem an diejenigen richteten, die ihren Obulus nicht entrichten wollten: Fastelavend hüll, de mi nix gifft, den schiet ik op’n Süll.
Laat dat Tau man noch en beten fieren! Die Landratte erhält auf ihrem ersten sommerlichen Segeltörn nicht nur Einblicke in das seemännische Handwerk, sondern auch in die zugehörige Fachsprache. Sehr schnell lernt sie, dass beim Fieren eine Kette oder ein Tau freigegeben wird. Im Gegensatz dazu steht das Hieven; dann verkürzt man das Tau und zieht es zum Schiff oder zum eigenen Standort hin.
Fieren ist verwandt mit dem niederländischen vieren, dem englischen veer, dem schwedischen fira und dem französischen virer. Die im Altsächsischen belegte Form ferrjan lässt noch die ursprüngliche Bedeutung erkennen: „entfernen, fern halten“. Oder präziser: „etwas geht in die Ferne oder Weite, bleibt oder haftet nicht und wird nicht gehalten“.
Nur selten wird fieren außerhalb der Seefahrt verwendet. Das sprachliche Bild ist aber klar, wenn es heißt: De olen Klamotten kannst du geern ut’t Fenster fieren. Ein Rauswurf lässt sich auch mit enen an de Luft fieren umschreiben. Und will man jemanden auf Trab bringen, ruft man ihm zu: Di will ik woll över’n Puller fieren.
Freiwerdende Kräfte werden auch beim Preisanstieg vermutet: Wat sünd de Priesen in de Hööchd fiert! Wer schlechte Luft verbreitet, hett een fieren laten. Und wer zu Depressionen neigt, lett allens fieren.
Übrigens: Auf Platt wird das maritime fieren ebenso ausgesprochen wie das Wort für „feiern“, das allerdings ganz anderen Ursprungs ist. Zuweilen aber treffen beide Wörter im Wortspiel aufeinander: Wenn de Schipper de Flagg op un daal fiert, heet dat: Vundaag gifft dat wat to fiern.
In’n Winter kriggst den Frostkötel nich vör de Döör. Wer unter kalten Händen und Füßen leidet, hat es im Winter schwer. Wobei wullen Strümp und Hanschen grundsätzlich Abhilfe schaffen können – nur nich beim Frostkötel, denn der leidet aus Passion: De Frostkötel sitt bi’t Füer un klappert mit de Tähn.
In Zeiten ohne Heizung waren die Menschen der Kälte stärker ausgesetzt als heute, und sie hatte auch mehr Abwehrkräfte entwickelt. Wer unter niedrigen Temperaturen litt, galt leicht als Schwächling und wurde als Frost-, Frossen- oder Früssenkötel beschimpft. Andere unfreundliche Wörter waren etwa Blaumoors, Klöömdood oder Klöömkatt.
Im Plattdeutschen gehört Frost zu freren wie der hochdeutsche Frost zu frieren gehört. In beiden Fällen erkennt man den systematischen Wechsel von s- und r-Formen, der sich auch bei einigen anderen Wortstämmen zeigt, etwa gewesen – war oder Verlust – verlieren. Während aber im Hochdeutschen s und r nur an jeweils unterschiedlichen Positionen auftauchen, haben sich im Niederdeutschen Parallelformen gebildet. So kann man für „ich friere“ sagen: Ik freer oder: Mi früst. Für die 2. Person kennt man sogar drei Formen: Du freerst – neben dem älteren: Du früst oder Di früst. Die sprachgeschichtliche Ausgangsform lautet nämlich nicht freren, sondern fresen.
Nicht ganz eindeutig ist die Herkunft des hier verwendeten Grundwortes Kötel. Die Nähe zu dem Wort für Exkremente scheint augenscheinlich, zumal der beleidigende Charakter dadurch besonders betont wird. Mit lütt Kötel bezeichnet man auch einen kleinen Jungen, und ein Dröhnkötel ist jemand, der einem auf die Nerven geht. Nebenformen wie Frostköter weisen aber auch auf andere Deutungen.
Übrigens: Auf unfreundliche Bemerkungen müssen sich Stubenhocker allemal einstellen: De Frostkötel früst ok in de warme Stuuv. Wobei dieser Spott unabhängig von den Jahreszeiten ist: In’n Winter kriggst den Frostkötel nich vör de Döör – un in’n Sommer al lang nich.
Glööv den Glattsnacker keen Woort! Bestimmte Zeitgenossen stehen in dem Ruf, im Umgang mit ihren Mitmenschen unaufrichtig zu sein. Dem größten Heuchler mag man entgegenhalten: Du büst de eerste Glattsnacker – doch wird man sein Verhalten dadurch kaum ändern können. Denn die Fähigkeit, dem Gegenüber nach dem Munde zu reden und dabei den eigenen Vorteil nicht aus dem Auge zu verlieren, prädestiniert den Glattsnacker für ganze Berufsgruppen: De glattsnacken kann, hett mehr vun’t Leven.
Glattsnacken ist ein besonders gelungenes Sprachbild – hier wird ein Sachverhalt durch Reden geglättet, er verliert seine Ecken und Kanten. Doch der Vorgang geht über das Glätten hinaus, denn die Sache wird in ein positives Licht gerückt. Die Verwandtschaft von glatt mit dem englischen glad für „froh“ und hochdeutschen Wörtern wie Glanz oder glitzern wird hier nachvollziehbar.
Auch in plattdeutschen Sprachlandschaften, in denen man nicht snacken sagt, gibt es Ausdrücke für „schmeicheln“ und „heucheln“. In Ostfriesland kennt man mundjeproten, wörtlich übersetzt „mündchenreden“. Andernorts heißt es glattspreken oder moisnacken.
Unter Verliebten gehört glattsnacksch Doon, also das schmeicherliche Gehabe, durchaus zu den rhetorischen Gepflogenheiten: Wat weern se an’t Fiecheln un Glattsnacken. So schwingt Bewunderung mit, wenn man sagt: De kann mal glattsnacken! Doch auch hier lässt sich bald die Warnung vernehmen: Laat di vun den Glattsnacker nich blennen.
Übrigens: Der Volksmund weiß genau, was er von Menschen zu halten hat, die Probleme entweder schönreden oder aber sie aufbauschen: De Glattsnacker un de Afkaat, de döögt beid nix.
Dien schetterigen Grientje kannst du di sporen! Schadenfreude, dievon einem breiten Grinsen begleitet wird, kann durchaus heftige Reaktion auslösen. Der Grientje steht zunächst im positiven Sinne für das Lächeln oder Schmunzeln. So reagiert ein Skatspieler, wenn er gute Karten bekommt, mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck: En Grientje krabbelt över sien Gesicht.
Der Grientje oder Grientjer ist aus dem Verb grienen abgeleitet. Meistens verwendet man das Wort heute für „lächeln“, früher galt es auch für „weinen“. In der hochdeutschen Entsprechung greinen hat sich die Bedeutung „weinen“ durchgesetzt. Formen wie grienen, Grientje, greinen und grinsen gehen zurück auf „den Mund verziehen“ – und das geschieht beim Weinen wie beim Lachen bekanntlich in sehr ähnlicher Weise.
Art und Anlass des Lächelns werden zumeist durch Adjektive verdeutlicht: Ein heimliches Lächeln beschreibt en liesen Grientje oder en stillen Grientje. Verschmitzt lächelt jemand, von dem es heißt: De maakt en plietschen Grientje. Diese Freude lässt sich auch mit grienen ausdrücken: He grient, as harr he een in’n Sinn. Und in manchen Situationen ist jedes Wort zu viel: He seggt gor nix, he grient sik een. Es gibt aber auch das höhnische Grinsen: De mit sien smerig Grientje. Bei Vergleichen mit grienen wird oft erst aus der Situation deutlich, ober es sich um ein Lächeln oder ein Grinsen handelt: He grient as en Botterlicker oder as en fett Swien oder as en Putt vull Müüs oder as en kaputten Holschen oder as en Breefkassen.
Übrigens: Ewig lächelnde Zeitgenossen bedenkt man gern mit Zuschreibungen wie: Grienaap, Grienboort, Grienkopp oder Grienmuul. Oder man sagt: He is recht so’n Grien-in-de-Grütt.
He leevt dor ganz günt. Auf all diejenigen, die weiter draußen wohnen, trifft die Ortsangabe günt zu. Für wahrlich abgelegene Ortschaften lässt sich günt steigern: De beiden wahnt mit jümehr Hunnen un Katten Güntsiet günt – also hinter dem Jenseits und damit fernab jeder Zivilisation. Eine solche Lage wiederum hat manchein skurriles Sprachbild hervorgerufen: De is vun Güntsiet günt, wo de Heid op’n Backaven wasst.
Günt gehört wie das hochdeutsche jen(er, -seits) zum indoeuropäischen Stamm eno-/ono, aus dem auch die mit ander gebildeten Formen hervorgegangen sind. Günt und Güntsiet beschreiben zunächst ein unbestimmtes Etwas, das entfernt liegt und sich außerhalb des eigenen Gesichtskreises befindet. Dabei ist unklar, wie und wann das g bzw. j an den Anfang des Wortes gelangte.
Neben „weit entfernt“ kann günt auch „gegenüber“ bedeuten: Dat Huus steiht günt den Graven. Oder: De Stadt liggt günt de Elv. Oder gar: Günt dat grote Water liggt Amerika. In vielen Gegenden erzählt man sich viele Schlechtigkeiten vun de vun Güntsiet – also von den Nachbarn von gegenüber. Die Stimme der Mahner bleibt leise: Op Güntsiet wahnt ok Lüüd.
Güntsiet kann – wie das hochdeutsche Jenseits – außerdem das Dasein nach dem Tod bezeichnen. De Klocken vun Güntsiet können also aus weiter Ferne klingen, sie können auch von jenseits eines Flusses oder einer Straße zu hören sein oder im metaphysischen Sinne aus dem Totenreich kommen: Wenn nich an düsse, so doch an de Güntsiet vun’t Graff seht wi uns wedder.
Übrigens: Der Name Günther hat mit dem plattdeutschen günt nichts zu tun. Schon das Nibelungenlied kennt Gunt-her als den „Kämpfer im Heer“. Nur wenn Günther schwul ist, liegt die Sache anders. In diesem Fall heißt es nämlich: Günther is vun Güntsiet.
Nu is all dat schöne Geld in de Grabbel gahn! Wer seine Finanzmittel durch gewagte wirtschaftliche Unternehmen eingebüßt hat, wird sich kaum durch das plastische Bild des in de Grabbel gahn besänftigen lassen. Denn was einmal in de Grabbel ist, gilt als verloren und taucht selten wieder auf. Ein wenig anders verhält es sich bei Alltagsgegenständen, die man bekanntlich leicht mal verlegt: Wo heff ik blots mien Brill wedder in de Grabbel kregen?
Der Ausdruck in de Grabbel gahn (kamen, kriegen, ween) geht auf das Verb grabbeln zurück, das wiederum mit griepen, hochdeutsch greifen, verwandt ist. Im Niederdeutsch der Hansezeit kannte man grabben für „schnell fassen, raffen“; umgangssprachlich hat sich daraus grabschen entwickelt. Und auf Platt sagt man auch heute noch: He grabbelt allens tohoop, wat he faatkriegen kann.
Hierher gehört auch das englische to grab für „fassen, packen, schnappen“, als archaisch gilt dort to grabble für „herumtasten“. Auch das plattdeutsche grabbeln und begrabbeln lässt sich beschreiben als „betasten, suchend oder ungebührlich mit den Fingern befühlen“.
Der Grundgedanke ist wohl: Wenn viele Menschen nach derselben Sache greifen, bleibt am Ende nichts mehr übrig: Denn is de ganze Kraam in de Grabbel kamen. Insofern beschreibt in de Grabbel ein negatives Resultat. Das gilt auch für den Abstieg eines Menschen: Wat weer he en staatschen Keerl – man nu hett he sik vun den Kööm ünnerkriegen laten un is in de Grabbel kamen.
Übrigens: Auch der Duden kennt grabbeln, er deklariert das Wort als norddeutsch. Vor allem der Grabbeltisch ist allgemein bekannt. Doch wenn ein Kunde die Früchte auf dem Wochenmarkt zu intensiv prüft, muss er sich in breitestem Platt anhören: Finger weg! De Appeln sünd kene Grabbelwoor!
Du büst woll jööksch! Spätestens im Mai haben die jungen Menschen das winterliche Grau abgelegt und freuen sich mit allen Sinnen ihres Lebens. Dabei beschreibt jööksch ziemlich präzise einen Zustand des Übermuts, wenn einem also „das Fell juckt“. Erfahrene Zeitgenossen wissen dann schon, was sie von der Jugend zu erwarten haben: Nu warrt de Maikatten jööksch.
Dass jööksch von jöken „jucken“ abgeleitet ist, liegt auf der Hand. Wobei das „ck“ im Hochdeutschen den Umlauf verhindert, während auf Platt ein langer Umlaut vor dem „k“ gesprochen wird. Das Wort selbst ist nur in westgermanischen Sprachen nachgewiesen, etwa im niederländischen jeuken oder im englischen itch. Im Plattdeutschen kommt dann noch die Adjektiv-Endung -sch hinzu, die auch in beetsch („bissig“), füünsch („böse“) oder snaaksch („merkwürdig“) zu finden ist.
Nicht nur junge Menschen neigen zu einem Verhalten, das jööksch genannt wird. Auch im dritten Frühling kann das besagte Kribbeln einsetzen: Wat hüppst du hier rüm mit diene 60 Johr – büst du jööksch? In solchen Fällen sind unkontrollierte Handlungen nicht ausgeschlossen: He is böös jööksch. Den kannst för nix bruken. Klar ist: Jööksch beschreibt einen schwer kalkulierbaren Ausnahmezustand, den man aber augenzwinkernd zu nehmen weiß: Wenn de jungen Deerns jööksch warrt, maakt se, wat se wüllt.
Übrigens: Jööksch ist keineswegs beschränkt auf das Verlangen nach Liebe. Von einem Gierigen heißt es: Na Geld ist he ja sowat vun jööksch. Und der Trinker verlangt schließlich nach einem guten Schluck, dat de ool jööksche Kehl man ehr Recht kriggt.
Heff ik dat nich jümmers seggt! Egal, ob es um die wirtschaftliche Entwicklung oder die Qualität des Fernsehprogramms geht – Besserwisser gibt es überall. Nicht selten sind deren Kommentierungen mit floskelhaften Wahrheiten angereichert: Dat warrt jümmers bunter in de Welt! Und zuweilen wird die kritische Sicht auf die Gegenwart durch einen Verweis auf die vermeintlich goldene Vergangenheit ergänzt: Dat weer nich jümmers so.
Dass das plattdeutsche jümmers mit dem hochdeutschen immer verwandt ist, liegt auf der Hand. Dabei ist jümmers mit seinem j näher an der ursprünglicheren Form, die sich aus je und mehr zusammensetzt. Dieses je, aus dem sich auch ewig entwickelt hat, verweist dabei auf ein zukünftiges Geschehen, während das mehr vor allem der Verstärkung dient. Aus diesem iemer (oder jemehr) ging dann immer hervor – zum einen durch Kürzung der beiden langen e, zum anderen durch Abfall des j. In jümmers ist dieses j erhalten geblieben.
Der zeitliche Aspekt bestimmt Aussagen wie: Wi wüllt jümmers Frünnen blieven. Gern lehnt sich jümmers auch an „jedesmal“ an, etwa wenn ein Kartenspieler klagt: Ik krieg jümmers de minnsten Koorten. Denn er kennt auch das Resultat: Denn verleer ik jümmers un jümmers. Ähnlich wie das hochdeutsche immer kann jümmers auch die Bedeutung „nach und nach“ annehmen. Im Frühjahr warrt de Daag jümmers länger und von einem kleinen Mädchen kann man sagen: De Deern warrt jümmers nüüdlicher.
Übrigens: Durch hochdeutschen Einfluss existieren auf Platt nebeneinander jümmers, jümmer, ümmer und immer. Der Sprachgebrauch ist hier ähnlich verwirrend wie die scherzhafte Antwort auf die Frage nach der Richtung, in der es heißt: Jümmers de Nees lang.
Jungedi! Op mal warrt allens gröön. Nicht nur Verwunderung, sondern vor allem Freude schwingt mit, wenn man sich das Erwachen der Natur im Frühjahr bewusst macht. Die emotionale Beteiligung vermittelt der vorangestellte Ausruf Jungedi! Rückblickend kann sich dieser auch auf negative Ereignisse beziehen, wenn es etwa nach einer Pleite im Fußballspiel heißt: Jungedi, wat sünd wi ünnergahn!
Mit Jungedi! betont der Sprecher seine Aussage. Diese Funktion erklärt, dass das Wort nahezu immer vor dem Bezugssatz steht, der hervorgehoben werden soll. In wenigen Fällen erscheint jungedi auch nachgestellt. Interjektionen wie jungedi oder Mann o Mann gehören der gesprochenen Sprache an, selten werden sie geschrieben. Trotzdem ist auffällig, dass die erste Erwähnung erst 1835 erfolgte, und zwar als Schungsti! Heute findet man Schreibungen wie tschungedi oder dschungedi.
Nicht eindeutig geklärt ist, welche Formulierung dem jungedi zugrundeliegt. Denkbar wäre: Jung, dat segg ik di. So könnte man zumindest auch das -e- in jungedi erklären, das sich bekanntlich auch in der Parallelform Junge! oder der Steigerung Junge Junge! findet. Von einem wütenden Menschen heißt es: Junge, wat weer de in de Brass! Und nach verrichtetem Werk lässt sich leicht stöhnen: Junge Junge, wat weer dat en Arbeit!
Zumeist drückt jungedi freudige Erregung aus, die auf eine Aktion Bezug nimmt: Jungedi, wat hett dat ballert, sagt man über ein Feuerwerk. Häufig begleitet jungedi auch Bewegungen: Jungedi wat leep dat Deert mit den blickern Putt an’n Steert.
Übrigens: Auch wenn jungedi auf die Anrede an eine männliche Person zurückgehen dürfte, bezieht sich der Anruf auch auf weibliche Wesen: Jungedi, wat hett de Deern Knööv! Oder in der negativen Variante: Jungedi, wat is dat doch för en Beest vun Wief!
Swatte Kassbeern, dicke swatte hatte Kassbeern, all sööt un gesund! Wenn im Juli der stimmgewaltige Händler auf dem Wochenmarkt sein saisonfrisches Obst anpreist, dann genießen Kirschen höchste Priorität. Dabei ist heute die Form Kassbeer nur noch selten zu hören; in den meisten Gegenden wurde sie durch die hochdeutsch beeinflusste Kirsch ersetzt.
Das -beer am Wortende klassifiziert die plattdeutsche Kirsche jedenfalls als Beerenfrucht und stellt sie in eine Reihe mit Bick-, Brummel-, Eerd-, Fleder-, Johanns- oder Stickbeern. Für diese Zuordnung könnte die Größe oder der saftige Wohlgeschmack verantwortlich sein.
Tatsache ist, dass sich aus der mittelalterlichen kerse eine Kersebeer entwickelt hat. Der weitere Lautwandel folgt dann den üblichen Gesetzmäßigkeiten: das unbetonte -e im Auslaut fällt aus: Kersbeer. Dann wandelt sich der e- oder i-Laut vor r häufig zu a (wie in Berg – Barg oder Kirche – Kark), so dass Karsbeer entsteht. Und schließlich bewirkt das r in vielen Fällen keine Dehnung des verausgehenden Lautes, sondern eine Kürzung (wie in kurz – kott oder schwarz – swatt). Fertig ist die Kassbeer.
Übrigens: Bei Rätseln spielt es keine Rolle, ob Kassbeer oder Kirsch gesagt wird. Hier kommt es ganz einfach auf die richtige Lösung an: Root is mien Rock, gröön is mien Stock, Steen is mien Hatt. Wat is dat?
De is aver fix op’n Kiwief! Wer sich heutzutage erfolgreich durchs Leben schlängeln will, muss schon eine gute Portion Wachsamkeit mitbringen. Op’n Kiwief sind all diejenigen, die sich schon als Schüler die Butter nicht vom Brot nehmen lassen. Und auch für das Berufsleben gilt: op’n Kiwief is, wer sich kein X für ein U vormachen lässt.
Aus dem Französischen ist Kiwief ins Plattdeutsche übernommen worden, gebräuchlich war es offenbar schon vor der Besatzungszeit vor rund 200 Jahren. Hervorgegangen ist Kiwief aus qui vive, was soviel bedeutet wie „wer lebt“ oder „wer soll leben“. Der Ausruf stammt ursprünglich von Wachsoldaten, die einen Fremden nach der Parole fragten. Weil aber die Parole häufig „es lebe der König“ lautete – vive le roi –, hat sich daraus die Frage „wer soll leben?“ entwickelt: qui vive?
He is op’n Kiwief ist damit vergleichbar mit dem deutschen: Er ist auf der Hut. Das Wort Hut steht hier ebenfalls für Wache, schließlich behüten die Wachposten einen Ort. Und wer auf der Hut ist, de is ok op’n Kiwief. Sogar der Duden führt den Eintrag Quivive, wobei das Wort als umgangssprachlich klassifiziert wird. Dieser Hinweis zeigt, dass das Wort nicht nur in Norddeutschland verbreitet ist – am Rhein etwa hält man Kiwief für ausgesprochen Kölsch.
Kiwief kann durchaus positiv besetzt sein, beschreibt es doch jemanden, der gewitzt, pfiffig oder aufgeweckt ist. Bedrohlich wird es dann, wenn es etwa von einem Vorgesetzten oder beim Sport von einem Gegner heißt: Vör den müttst böös op’n Kiwief ween.
Übrigens: Kombinieren lässt sich op’n Kiwief auch mit anderen positiven Eigenschaften: Hein un Erna sünd de dicksten Frünnen: He is plietsch un se is op’n Kiwief.
Du hest di aver bannig in Kledaasch smeten! Bewunderung klingt an, wenn die festliche Garderobe gelobt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn sich der Träger selten herausputzt, wenn er alldagsche Kledaasch bevorzugt. Und auch am Feierabend fühlen sich viele in bequemer Kleidung wohler. Zuhause heißt es gern: Treck diene ole Kledaasch man wedder an.
Das Wort Kledaasch taucht im Niederdeutschen erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf. Das ist leicht durch die napoleonische Besatzung zu erklären. So gelangten nach 1800 zahlreiche Wörter aus dem Französischen ins Plattdeutsche. Die meisten wurden komplett übernommen, wie Baggaasch, Kraasch, aber auch Klöör oder Mallöör. Ungewöhnlich an Kledaasch ist nun, dass nicht das ganze Wort übernommen wurde, sondern dass es zu einer Verbindung eines germanischen Stammes, der sich auch im schwedischen kläde und im englischen cloth zeigt, mit der romanischen Endsilbe -age kam.
Zur besonderen Betonung ist auch eine Mehrzahlbildung von Kledaasch möglich: De Froenslüüd geevt mehr op jümehr Kledaaschen. Dabei kann Kledaasch durchaus leicht abfällig gebraucht werden: Wat hangt ehr de Kledaasch fludderig vun’t Lief! Hier zeigt sich eine inhaltliche Nähe zu Wörtern wie Klamotten, Plünnen oder Tüüch. So kann es frühmorgens heißen: Maak to, dat du in de Kledaasch kümmst! Und jeder wird es als Drohung begreifen, wenn ihm zugerufen wird: Ik kaam di glieks op de Kledaasch!
Übrigens: Das Wort Kledaasch ist im Plattdeutschen einfach zu jung, als dass es sich in andere Lebensbereiche hätte ausgebreiten können. Nur das maritime Milieu macht hier eine Ausnahme, wenn es von einem Schiff unter vollen Segeln heißt: He hett de ganze Kledaasch op.
Wat hest Du wedder in’n Matsch kleit! Wenn Kinder vom Spielen nach Hause kommen, sind Mütter oft im Zweifel, ob sie dem Bewegungsdrang der Kleinen, der seine Spuren vor allem auf der Kleidung hinterlassen hat, uneingeschränkt Respekt zollen sollen. Dabei fasst kleien unterschiedliche Tätigkeiten zusammen, bei denen sich jemand beschmutzt. So erhält die Ausgangsbedeutung „kratzen“ zumeist einen negativen Beiklang, etwa, wenn ein Mensch mit langen Fingernägeln so charakterisiert wird: De kann sien Grootmudder ut de Eer kleien.
Die Herkunft von kleien ist nicht vollständig geklärt. Vieles deutet darauf hin, dass kleien zu einer Form des hochdeutschen Wortes Klaue zu stellen ist, aus dem dann die Bedeutung „mit den Nägeln kratzen“ abgeleitet wurde. Von hier konnten sich so unterschiedliche Bedeutungen wie „unleserlich schreiben“ und „Gräben ausheben“ entwickeln.
Oft wird kleien verwendet, um menschliches Verhalten auszudrücken: Se bitt un sleit un kleit sagt man von einer wehrhaften Frau. Und dass sich das partnerschaftliche Miteinander wandelt, beschreibt: Ole Lüüd kleit sik, junge Lüüd eit sik. Gerade in der Wendung eien un kleien zeigt sich aber auch, dass kleien nicht nur das schmerzhafte Kratzen meint, sondern auch ein wohliges „Kraulen“ ausdrücken kann: Mariken, laat di strieken, laat di eien, laat di kleien.
Übrigens: Am häufigsten hört man kleien heute in derben Zurückweisungen. Klei di an de Fööt ist dabei die freundliche Variante. Die deftigere Version für „Du kannst mich mal...“ ist aber immerhin schon seit 1661 belegt: Klei di an’n Mors!
Nu maakt di dat man eerstmal en beten kommodig! Wenn im Herbst der Regen gegen die Fensterscheiben trommelt, zieht es die Menschen in ihre Stuben, wo sie sich kommodig üm den Disch sett. Dabei können Möbel als gemütlich empfunden werden: He sitt jümmers op sien kommodigen Stohl, aber Ähnliches gilt auch für Autos, Häuser oder Zimmer: Wi sitt an’n leevsten in uns kommmodige Köök.
Im 18. Jahrhundert ist kommodig erstmals im Plattdeutschen belegt. Unverkennbar ist die Herkunft des Wortes aus dem Französischen commode, das zu dieser Zeit als Modewort allerdings auch im Hochdeutschen benutzt wurde. An diesen Einfluss erinnert dort heute nur noch die Kommode, deren Benennung auf die Zweckmäßigkeit dieses mit Schubfächern ausgestatteten Möbelstücks verweist. Während aber das Eigenschaftswort kommod im aktuellen Hochdeutsch fast nur noch in Österreich verwendet wird, hält sich das niederdeutsche kommodig konstant.
Mit kommodig beschreibt man alle Abläufe, die sich einfach und problemlos gestalten: Sogoor mit de Stüern güng dat düt Johr allens kommodig. Wer Schwierigkeiten mit seinen Zähnen hat, mag feststellen: Dat Bieten is nich mehr so kommodig.
Allens mit Kommodigkeit hat sich bekanntlich als erfolgreiches Lebensmotto bewährt. Die Bedeutung „gemütlich“ kann allerdings auch einen negativen Beiklang erhalten: He is to kommodig to’n Arbeiten. Vor allem, wenn Bequemlichkeit in Faulheit übergeht, halten die Mitmenschen ihre Kritik kaum zurück: Dor is he veel to kommodig to, as dat he sik dorüm kümmert.
Übrigens: Wer als kommodig gilt, hat seine Mitmenschen immer schon zu Reaktionen und zu Wortspielen herausgefordert: „In’n kommodigen Gang“, sä Jan Meier, „dat de Hoor op’n Kopp suust.“ So ist auch die Drohung nicht zu überhören, wenn es heißt: Pass op – di warr ik ganz kommodig vör de Döör setten!
Kumm, küsel mi mal! Kinder lieben es, wenn Erwachsene sie mit ausgestreckten Armen in der Luft herumwirbeln. Genau dieses schnelle Drehen beschreibt küseln; daneben kann das Wort aber auch für die Folgen heftiger Drehbewegungen stehen. Wenn jemand taumelt, heißt es: He küselt ut de Döör.
Für die Herkunft von küseln gibt es recht unterschiedliche Deutungen. Eine sieht eine Verbindung mit den Wörtern Kies und Kiesel, die zu Steinen zerriebene Felsen bezeichnet. Als zweite Möglichkeit wird eine Nähe zu kruus, hochdeutsch kraus, in Betracht gezogen, so dass diese Entwicklungsreihe entsteht: krüseln – kürseln – küsseln – küseln. Zunächst wäre das r um das ü herumgewandert; das ist immerhin möglich, wie die Paare dree – dörtig, Born – Brunnen oder brennen – englisch burn belegen. Anschließend müsste das r dann ausgefallen sein bei gleichzeitiger Kürzung des ü; auch hierfür lassen sich Parallelfälle anführen, etwa swatt, hatt oder kott. Und danach wäre das ü wieder lang geworden.
Für diesen Ansatz spricht, dass in vielen plattdeutschen Regionen Formen von küseln neben krüseln stehen. Den Haarwirbel nennt man fast überall Küsel, vereinzelt auch Krüsel. Auch das Eigenschaftswort ist gebräuchlich: Ik bün ganz küselig in’n Kopp. Oft dient küseln der Bezeichnung von Bewegungen in der Natur: De Wind küselt de Bläder. Oder vom aufsteigenden Rauch sagt man: De Rook küselt ut den Schosteen. Auch das Wasser maakt Küsels. Und der Wetterbeobachter weiß: Wenn de Wind küselt, gifft dat Regen.
Übrigens: Gern wird küseln mit dem Tanz in Verbindung gebracht. Von einem schwerfälligen Tänzer heißt es: He küselt as en Haublock. Wer aber die Drehungen beherrscht, de küselt sik as en Karussel.
Wiehnachtsmann, kiek mi an – so beginnt eines der schönsten plattdeutschen Weihnachtsgedichte. Ohne Zweifel hat sich der Name Wiehnachtsmann für den weihnachtlichen Gabenbringer in ganz Norddeutschland durchgesetzt. Daneben aber haben sich in einzelnen Landschaften Formen wie Kajeis, Kinnjes, Kujees, aber auch Ruppert oder Sünner Klaas erhalten. Und gerade in den letzten Jahren hört und liest man wieder mehr von diesen regionaltypischen Weihnachtsmännern.
Der Sünner Klaas begegnet uns hauptsächlich an der schleswig-holsteinischen Westküste und in Ostfriesland. Dieser Name geht ursprünglich auf den Nikolaus zurück, wobei die Parallele zum englischen Santa Claus unverkennbar ist. Als alter Mann mit langem Bart kommt auch Ruppert daher, teils als Vorläufer, teils als Begleiter des Weihnachtsmanns, der unartige Kinder mit der Rute züchtigt: der norddeutsche Knecht Ruprecht eben.
Nicht so leicht herzuleisten ist Kujees, mit der Betonung auf der letzten Silbe. Hierzu existiert eine Vielzahl lautlicher Spielformen, die sich alle auf Kind Jesus zurückführen lassen. Das Christkind selbst übernimmt es in diesem Sprachbild, die Menschen am Weihnachtstag zu beschenken. Vor allem in Mecklenburg erfreut sich Kinnjes großer Beliebtheit, aber man kennt ihn auch in anderen Regionen. Durchschaut wird dieses Wort allerdings schon lange nicht mehr, was man auch daran erkennen kann, dass im Plattdeutschen alle Kind-Jesus-Formen männlich sind. Es kommt nicht dat Kinnjes, sondern de Kinnjes.
Übrigens: im Laufe der letzten 200 Jahre sind die Vorstellungen über den Nikolaus, Ruprecht, den Weihnachtsmann und das Christkind weitgehend zusammengefallen. So ist das nun mal: Is mi doch eendoont, woans he heten deit – wenn he man düchtig Geschenken bringt, de Wiehnachtsmann!
Bi’n Vörjohrsputz kummt de Leuwagen in de Gangen! Wenn im Frühling die Vögel tirilieren und die Pflanzen sich ein grünes Kleid zulegen, dann drängt es auch die Menschen zur Tat. Beim großen Saubermachen kommt dem Leuwagen traditionell eine tragende Funktion zu. Als Stielschrubber dient er, zumeist kombiniert mit einem Feudel, der Reinigung von Fußböden: Vunmorgen feil ik eerstmal de Köök mit den Leiwagen.
Die Herkunft des Wortes Leuwagen, gesprochen auch Leuwaag oder Leiwagen, lag für die Sprachwissenschaft lange Zeit im Dunkeln. Zwar konnte man im vorderen Element Leu- das niederländische loi/lui für „faul, träge, matt“ erkennen, doch eine Verbindung von -wagen mit „bewegen“ wollte nie recht überzeugen. Plausibler erscheint die Deutung, nach der das im mittelalterlichen Niederdeutsch bekannte dwagen in der Bedeutung „waschen“ anzusetzen ist. Demnach ist der Leuwagen ein Gerät, mit dem man sich das Säubern des Fußbodens erleichterte, zumal man für diese Arbeit ursprünglich auf die Knie gehen musste.
Zumindest in früheren Zeiten war der Frühjahrsputz fest an die Frauenrolle geknüpft: De Huusfro schüert mit den Leuwagen dat ganze Huus. Wie weit bei einigen die Identifizierung mit dieser Arbeit ging, zeigt die Aussage: Wenn se den Leiwagen nich in de Hand hett, is se man en halven Minschen. Bei so viel Energie kann sogar das Arbeitsgerät Schaden nehmen: Nu geiht’t los, seggt Stina Goos, dor floog de Leuwagen vun’n Steel.
Übrigens: Die fälschliche Zuordnung des Leuwagen zu den Fahrzeuge hat schon manchen in die Irre geleitet. Ein Rätsel spielt mit dieser Unsicherheit: Wat för’n Wagen hett keen Rööd? Die Antwort liegt auf der Hand.
Ik heff ok blots en lüerlütten Druppen nahmen – auch der winzigste Tropfen Zitronensaft löst bei den meisten Menschen einen angewiderten Gesichtsausdruck aus. Dabei bezeichnet lüerlütt eine außerordentlich kleine Menge oder Größe: He itt to Middag nix as twee lüerlütte Pannkoken. Un von manch einer Ferienunterkunft wird berichtet: Dat weer nich mehr as en lüerlütt Lock.
Das Wort lüerlütt setzt sich aus zwei Teilen zusammen; es ist allgemein bekannt, dass das plattdeutsche lütt dem hochdeutschen klein entspricht. Das vordere lüer- oder lier- ist schon schwieriger zu deuten. Vielfach zeigt es eine Steigerung der Aussage an, etwa in lüerlies für „sehr leise“. Der Ursprung allerdings liegt in dem Hauptwort Lüer, das auf Hoch als Lure bekannt ist und „Windel, Wickelkleid für Säuglinge“ bedeutet. Demnach bezog sich lüerlütt ursprünglich auf Menschen, die „klein wie ein Säugling“ waren.
Nimmt man ein Kind in Schutz, kann man entschuldigend sagen: He is ja noch so lüerlütt. Wollen die Kleinen während der Ferien ein wenig länger aufbleiben, kann man sie betteln hören: Och, blots noch en lüerlütten Ogenblick. Im Rückblick werden wohl alle Schüler auch nach sechs Wochen feststellen: Dat weern man lüerlütte Ferien. Und demjenigen, der unentwegt von seinen Abenteuern erzählt, mag man zurufen: Swieg du man en lüerlütt beten still.
Übrigens: Klitzeklein lässt sich durch lüerlüerlütt sogar noch steigern. Wie in diesem Kinderreim: Ik weet en lüerlüerlüttje Fro, de hett en lüerlüerlüttje Koh, un de lüerlüerlüttje Koh harr en lüerlüerlüttjet Kalv ...
Geiht nix över en lummerige Sommernacht! Die meisten Menschen sind hocherfreut, wenn sie den Abend an der frischen Luft verbringen können, auch wenn die Luft vielleicht ein wenig drückend ist: Wat is dat för en lummerige Luft, dat gifft wiss noch en Gewitter. Dabei schwingt immer auch die Reaktion des Menschen auf schwüle Wetterlagen mit, nämlich: müde machend. Auch ganz unabhängig vom Wetter sagt man, wenn einem flau wird: Mi warrt so lummerig.
Für „schwül“ kennt man auf Platt auch bruttig. Während hier das Bild des Brütens durchscheint, ist die Herkunft des Wortes lummerig ungeklärt. Im Dänischen heißt „schwül“ lummer, im Festlandsfriesischen lumeri. Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm weist eher nach Süddeutschland: So steht lummer im Hessischen für „locker, schlaff“, dazu gibt es die Formen lummericht, lummern und lummlicht.
Schwüles Wetter geht oft einher mit trüber Sicht. So erklärt sich, dass lummerig auch der Kennzeichnung undurchsichtiger Flüssigkeiten dient. Spielen die Kinder in einem schlammigen Tümpel, heißt es: Dat Water is lummerig. Und nicht immer lässt sich bei ausgeflockten Getränken die Frage der Genießbarkeit entscheiden: Dat Letzte in de Buddel weer al ganz lummerig.
Übrigens: Das Wort lummerig wird gern durch zusätzliche Elemente betont, so ist von lummerwarm die Rede. So ruft man bei drückender Schwüle entnervt aus: De Luft is so lummerig un lurig – ik treck mi glieks de Kledaasch vun’t Lief.
Wat de Minsch so mucksch wesen kann! Die Mitmenschen reagieren oft gereizt, wenn sich empfindliche Gemüter nörgelig oder verstockt geben. Dabei bezeichnet mucksch eine Verfassung, für die man im Hochdeutschen eingeschnappt kennt: De is hüüt mucksch – mit den kannst keen Woort snacken.
Das Hochdeutsche kennt die Wörter mucken und mucksen, beide in der Bedeutung „aufbegehren“. Hierzu gehört auch das niederländische mokken sowie das schwedische mucka. Damit verwandt ist auch das Eigenschaftswort mucksch, das nicht allein im Plattdeutschen verbreitet ist, sondern seinen Weg auch in die norddeutsche Umgangssprache gefunden hat. Ihren Ursprung finden diese Wörter, wie auch Muck, Mucks, mucksig oder mucksmäuschenstill, in der Nachahmung eines Lauts. Ein solches Klangwort kennzeichnet auch den ostfriesischen Kuss, der als Muk bezeichnet wird.
Will man das Verhalten von Kindern beschreiben, wird mucksch gern benutzt: Wenn du nich mehr mucksch büst, kannst wedder herkamen. Steigern lässt sich mucksch durch mucksch un bucksch. Hier zeigt sich, dass mucksch auch auf Tiere bezogen werden kann. So heißt es von einem störrischen Pferd: De is mucksch as en Zegenbuck.
Übrigens: Falsch wäre es, auch den Muckefuck in die Reihe der mucksch-Wörter zu stellen. Denn der heißt ganz einfach „falscher Mokka“, oder französisch mocca faux.
Di heff ik al lang op’n Kieker! Dass in diesem Satz eine Drohung steckt, lässt sich leicht am Tonfall erkennen. Wer einen anderen op’n Kieker hett, der beobachtet ihn genau, weil er ihm nicht traut. Der Grad des Misstrauens lässt sich durch Formen wie böös, fix, hellsch, scharp steigern: Den Keerl heff ik bannig op’n Kieker. Außerdem kann man den Argwohn verallgemeinern: All hebbt se em op’n Kieker – womit durchaus auch ein Mobbing-Opfer gemeint sein kann.
Abgeleitet ist der Kieker von kieken. Verwandte finden sich im niederländischen kijken, im norwegischen und schwedischen kika oder im dänischen kige. Die Herkunft ist allerdings ungewiss, zumal sich ansonsten die germanische Verbalwurzel ki- nur in der Bedeutung „bersten, aufspringen“ nachweisen lässt, etwa im hochdeutschen Keim.
Kieker bezeichnet zunächst eine Person. So heißt es von mageren Geschäften auf dem Frühlingsmarkt: Kiekers weern dor veel, man keen Köpers. Der Steernkieker ist der Astronom und der Trichinenkieker der Fleischbeschauer – hier schwingt die Bedeutung „Kontrolleur“ mit. Auch die Augen selbst werden Kiekers genannt: Ehr lüttjen Kiekers güngen hen un her. Vor allem aber erleichtert man sich mit einem Kieker das genaue Sehen: das Wort bezeichnet also das Fernglas, das Fernrohr, das Opernglas und die Lupe. Hierzu passt der Bremer Kieker: Dabei hält ein Erwachsener einem Kind die Hand über die Augen.
Das Bild vom Fernglas ist noch erkennbar in: Ik heff di op’n Kieker – früher sagte man auch in’n Kieker. Hat hingegen jemand wat nich op’n Kieker, so bleibt es unberücksichtigt. Hoffnungsfroh heißt es dagegen, wenn etwas in Aussicht steht: Ik heff wat op’n Kieker.
Übrigens: kieken ist auf keinen Fall mit gucken verwandt. Allerdings ist der Anlaut des im Norddeutschen geläufigen kucken auf den Einfluss von kieken zurückzuführen: Kiek an!
In de Schooltiet hett he den Ökelnaam Jan Grootsnuut kregen. Ein Spitzname, der einem in der Jugendzeit angehängt wurde, kann sich ausgesprochen hartnäckig halten. Die Verwendung eines Ökelnaam beschränkt sich in der Regel auf die Familie oder einen engeren Freundeskreis, und in traditionellen Ortsgemeinschaften hieß es noch vor 50 Jahren: As Jungs kennt wi vun de Lüüd hier blots de Ökelnamen.
Der Wortbestandteil Ökel- geht auf altsächsisches okian zurück, das „mehren, vergrößern“ bedeutet. Aus diesem okian sind beispielsweise das plattdeutsche ok und das hochdeutsche auch hervorgegangen. Insofern ist ein Ökelnaam zunächst nichts anderes als ein zusätzlicher Name oder ein „Auch-Name“. Doch bereits früh zeichnete sich ab, dass solcherlei Spitznamen gern eingesetzt wurden, um jemanden zu necken oder zu verspotten.
Ökelnamen werden nach unterschiedlichen Motiven vergeben. Das ungestüme Verhalten spiegelt sich in: All seggt se Hein Bullerballer to em, man he is de eenzist, de dor nix vun af weet. Auch das Aussehen kann den Ökelnaam bestimmen, man denke an den Ohren-Prinz. Nicht selten wird auch ein Wort oder eine Wendung aufgenommen, die der Träger besonders häufig benutzt: Jeedeen wüss, woans Mister Sotoseggen to sien Ökelnaam kamen weer. Auch für Gruppen von Menschen gibt es Ökelnamen. So heißt es: All de Diekers heet hier Schaapbieters. Besonders das Berufsleben gibt im Plattdeutschen zahlreiche Beispiele für kollektive Ökelnamen. Wer einen Arm gebrochen hat, geht zum Knakenschooster, mit Zahnschmerzen besucht man den Kusenklempner, und wenn die Schmerzen gar nicht nachlassen, bemüht man den Giftmischer oder den Pillendreiher.
Übrigens: Die Deutung von Ökelnaam als „Ekelname“ ist schlichtweg verkehrt, das belegt der kreative Umgang mit Koseformen, wie Verliebte ihn pflegen: Wat en Leevde: He hett jeden Dag en nee’en Ökelnaam för mi: Seute Deern, mien lütt Muus, Appelsnuut un wat nich allens.
Paasch is de beste Tiet! Über die schönste Jahreszeit lässt sich trefflich streiten. Zweifellos aber nimmt Ostern mit der erwachenden Natur und seinen lauen Lüften einen vorderen Platz ein. Wie im Hochdeutschen spricht man auf Platt heutzutage fast überall von Oostern mit seinen Oostereiern, die der Oosterhaas bringt. Doch noch vor 200 Jahren war Paasch bei uns verbreiteter als Oostern.
Dem Wort Paasch liegt das hebräische pesah zu Grunde, das wiederum auf eine Form zurückgeht, die in jüdischen Glaubensvorstellungen fest verankert ist und für „springen, überspringen, übergehen, verschonen“ steht – es hat jedenfalls nichts mit Vorstellungen von Frühlingserwachen zu tun. Über das Griechische und Lateinische gelangte Paasch oder Paaschen auch in unseren Kulturkreis. Während der Hansezeit schrieb man Pasken oder Paesken.
Noch keine 500 Jahre verbindet man Paasch mit Eiern. Für Hamburg wird der Verzehr von gekochten Paascheiern am Ostersonnabend erstmals 1666 erwähnt. Eher scherzhaft heißt es über einen kleinen Jungen: De mutt eerst noch mehr Paascheier eten. Wegen des anlautenden P wird Paasch gern in Kombination mit Pingsten verwendet. So heißt es von einem Kind im Hemdchen: He wiest Paaschen un Pingsten togliek. Jemand, der vollkommen durcheinander ist, weet nich Pingsten oder Paasch. Und als Ausdruck größter Verwunderung gilt: Nu fallt Paasch un Pingsten op een Dag.
Übrigens: Erst Mitte des 19. Jahrhunderts senkte man die Zahl der österlichen Feiertage von drei auf zwei. Noch 1556 hatte man in Hamburg amtlich festgelegt: in unsern kercken fyerlich vordan geholden werden Paschen dre Dage.
To en groot Füerwark höört ok de lütten Piepmanntjes mit to. Dass es im Leben nicht allein auf die lauten und farbenprächtigen Töne ankommt, lehrt uns nicht allein das Feuerwerk. Als Piepmanntjes gelten unterschiedliche Arten kleiner Feuerwerkskörper, von Fröschen und Schwärmern bis hin zu Kleinstknallern, die dann ihre besondere Wirkung erzielen, wenn sie zu Matten zusammengeknüpft werden: mit een Piepmanntje alleen kannst keen Spektakel mit maken.
Im Wort Piepmanntje erkennt man rasch ein hochdeutsches Pfeif-Männchen. Vergleicht man Piep und Pfeife, so lassen sich einige grundsätzliche Unterschiede zwischen Hoch und Platt ausmachen. So hat das alte „p“, wie wir es auch im Niederländischen und Englischen finden, eine Wandlung erfahren, nämlich zum „pf“ oder „f“. Das belegen Wortpaare wie Peerd – Pferd, Appel – Apfel oder op – auf. Ein regelhafter Wechsel zeigt sich es ebenfalls vom älteren langen „i“ zum neueren hochdeutschen „ei“. Dafür stehen mien – mein, Biel – Beil oder griepen – greifen.
Zunächst galt Piepmanntje als freundliche Bezeichnung für Singvögel. Auch hier schon diente der typische Laut als Motiv für die Bezeichnung, ähnlich wie beim Piepmatz. Im übertragenen Sinne kann man über einen Menschen mit vielen verrückten Ideen sagen: De hett jümmers en Piepmanntje in’n Kopp.
Übrigens: Die Geister des alten Jahres vertrieb man früherer eher mit Peitschenknallen als mit himmelsweiten Lichterkaskaden oder ohrenbetäubenden Böllerschlägen. Zum Feuerwerk allerdings findet sich bereits vor knapp 500 Jahren ein Eintrag in einer Hamburgischen Bürgerverordnung: dat etliche sich understan, bi nachtslapender tidt in dusser stadt vurwerke totorichtende und to werpende.
Magst ja nich ut’t Huus gahn, wenn dat so pieselt! Das Wetter ist und bleibt das beliebteste Gesprächsthema, zumal wenn es zu Klagen Anlass gibt. Die Menschen in Norddeutschland plagen sich vor allem mit Wind und Nässe. Wenn es pieselt, fällt der Regen in feinen Tropfen, was sich oft als ausgesprochen unangenehm erweist: Wenn dat so pieseln deit, kannst dor ok nich mit en Schirm gegenan.
In der Bedeutung „fein regnen“ kennt man pieseln im Plattdeutschen erst seit hundert Jahren. Daneben werden mit nieseln, mieseln und fieseln auch sehr ähnlich klingende Wörter verwendet. Außerdem hört man vor allem drüppeln oder smuddeln. Für die Abstufung des Niederschlags benutzt man auf Platt häufig auch Konstruktionen aus dem Verb regen und einem charakterisierenden Adjektiv, etwa: dat regent sacht – suutje – sinnig – stüttig – fix – för dull.
Wat pieselt dat wedder! Dieser Ausruf wird häufig mit einer Aussage über die Dauer des Nieselregens kombiniert: Dat pieselt egaalweg. Oder: Dat pieselt in een Tour. Am Nachmittag lässt sich dann resigniert feststellen: Dat pieselt vundaag man eenmal. Angesichts grauer Wolken können nur wenige Zeitgenossen dem Pieseln etwas abgewinnen: Wenn dat pieseln deit, denn sweet de Heven so’n beten.
Übrigens: Nur noch selten in Gebrauch ist die ältere Bedeutung von pieseln, nämlich „flüstern“. Dieses Wort dürfte sich aus dem ebenfalls lautmalerischen pispern entwickelt haben: Segg, wenn du wat to seggen hest – hier in’t Huus warrt nich pieselt!
Tööv, di warr ik püüstern! Auch wer die Bedeutung von püüstern zunächst nicht versteht, erkennt am Tonfall zweifelsfrei die Drohung, die sich hinter dem Satz verbirgt. Konkret bedeutet püüstern hier „fortjagen“, es geht also recht handfest zu, wenn es heißt: Wenn du nich maakst, dat du wegkummst, denn püüster ik di rut!
Zum hochdeutschen Blasebalg sagt man auf Platt Püüster. Diesem Wort sieht man seine Verwandtschaft mit puusten an, und püüstern ist eine Intensivbildung dazu – ähnlich wie jachtern zu jagen oder bevern zu beven. Erst vor gut 200 Jahren ist das plattdeutsche puusten ins Hochdeutsche übernommen worden, auch lautgerecht als pfausten. Püüstern und puusten gehen zurück auf eine indoeuropäische Wurzel bu- zurück; diese bedeutet „aufblasen“ und ist in Bö unschwer erkennbar.
Die Nähe zum Wind zeigt sich für püüstern, wenn es um das Entzünden eines Feuers geht: He legg Holt in den Kamin un füng glieks an to püüstern. Hier versucht also jemand, das Feuer durch Blasen zu entfachen. Das Geräusch, das bei heftigem Ein- und Ausatmen entsteht, lässt sich ebenfalls mit püüstern bezeichnen: He weer an’t Püüstern, as kunn he gor keen Luft kriegen.
Auch der Wind selbst püüstert kräftig: De Westenwind püüstert all de Blääd uteneen. Dabei weist man gern Petrus die Verantwortung für alle Witterungserscheinungen zu: Petrus püüstert vun baven. Kein Wunder, dass sich die Menschen bei Sturm lieber in Häusern aufhalten: De Oostenwind hett all de Lüüd vun de Straat püüstert. Übrigens: Im Laternelied singen die Kinder von Lapüüster. Doch handelt es sich dabei lediglich um ein Reimwort: Lapüüster, Lapüüster, de ganze Welt is düüster.
Kiek di den Lütten an: Wat quoost he mit beide Backen! Wer so genussvoll isst, dass alle Menschen in der näheren Umgebung an seiner Freude teilhaben können, der quoost. Was wir aber an Kaubewegungen und Schmatzgeräuschen einem Kleinkind gern zubilligen, wirkt bei einem Erwachsenen eher abstoßend. Und die Grenze von „gierig essen“ zu „unmanierlich essen“ ist fließend: Bi Pizza, dor quoost he, dor is dat Enn vun weg.
Vor 800 Jahren war im Hochdeutschen das Wort quazen geläufig, und zwar in der Bedeutung „schlemmen“. Heute kennt man das Wort nur im Plattdeutschen, als quosen oder quasen. Noch in der Hansezeit gab es hierzu eine ausgebaute Wortfamilie: quas stand für „Fressen, Schwelgerei“, dazu gehörte der quaser und die quaserie sowie das Verb quasen und das Adjektiv quasich. Als Grundbedeutung darf „zermalmen, zerdrücken“ angenommen werden.
Auch mit Tieren bringt man das geräuschvolle Fressen in Verbindung. Seinen Kühen auf der frischen Weide ruft der Bauer zu: Dor hebbt ji orntlich wat to quosen. Und über gesäugte Ferkel heißt es: Du kannst jüm quosen un sluken hören. Im Zusammenhang mit Menschen hat quosen meistens einen negativen Beiklag. So benutzt man das Wort auch, wenn jemand appetitlos isst: Se füng an, dat Broot to eten un quoos un quoos.
Übrigens: Die negative Seite von quosen wird besonders augenfällig, wenn es um eine eher widerwillige Nahrungsaufnahme geht. So ist sich die Familie sicher nicht ganz grün, von der bei einer Feier berichtet wird: De ganze Verwandtschaft sitt dor un quoost drögen Klöben.
Dor rippt un röögt sik nix achter de Döör! Wenn die Eltern ihre lieben Kleinen endlich ins Bett gebracht haben, hoffen sie inständig, dass die Stille nicht trügt. Wenn sich nichts mehr rippt un röögt, ist keine Bewegung zu verspüren. Dass die Ruhe allerdings nicht zwingend mit Schlummer gleichzusetzen ist, wissen alle Erwachsenen, die selbst Bücher unter der Bettdecke gelesen haben: Nix rippt un röögt sik, un liekers is dor wat in Gang.
Das Wort rippen erscheint fast immer in einer festen Verbindung als rippen un rögen. Während aber für rögen die Verwandtschaft mit dem hochdeutschen rühren auf der Hand liegt, lässt sich rippen schwerer zuordnen. Aus Rippe ist rippen jedenfalls nicht hervorgegangen. Anzusetzen ist vielmehr eine germanische Grundfrom hrap, die für Bewegungen aller Art steht. Daraus ist etwa das norwegische rappa für „sammeln, zusammenbringen“ entstanden, im Schwedischen heißt es repa mod für „Mut fassen“ und im Hochdeutschen kennen wir raffen oder aufrappeln.
In der Hansezeit hatte das niederdeutsche rippen noch ein sehr breites Bedeutungsspektrum; es reichte von „rühren, anrühren, bewegen“ über „besprechen, aufführen“ bis hin zu „sich fortmachen, eilen, steigen, klimmen“. Und de Segel reppen stand für „unter Segel gehen“.
Heute ist rippen un rögen zumeist auch mit einem nich oder nix verbunden, so dass die Wendung Bewegungslosigkeit beschreibt. Wer unter Gicht oder Rheuma leidet, stöhnt: Ik kann mi nich rippen un rögen. Da sich ein Kranker aber bekanntlich gesund schlafen kann, ist es durchaus positiv, wenn es heißt: He rippt un röögt sik nich in sien Bett.
Übrigens: Nur im ostfriesischen Platt zeigt sich rippen noch als Einzelwort. So sagt man von jemandem, der Gott und die Welt in Bewegung setzt: He rippt Himmel un Eer op.
Haal dien Sleden her, wi wüllt rüüschen! Die Aufforderung, den winterlichen Schnee zu einer Schlitten-Partie auszunutzen, wird sich kaum ein Kind entgehen lassen. In einigen Regionen war rüüschen früher auf das Fahren mit dem Pferdeschlitten beschränkt. Heute gilt es für jegliche Art des Gleitens auf Schnee: de Gören rüüscht den ganzen Dag den Diek hendaal.
Klar ist, dass es sich bei rüüschen um ein lautmalendes Wort handelt. Ob es allerdings mit rauschen zusammenhängt oder mit rutschen, steht nicht eindeutig fest. Zu dem ursprünglichen Geräusch hat sich mit der eiligen und raschen Bewegung eine zweite Bedeutungskomponente gesellt. So kann das Wort auch auf andere Situationen übertragen werden: Wi rüüscht noch maal eben över den Dom.
Zum Rüüschen benutzen die Kinder den Sleden, zu dem man früher auch Rüüsch sagte. Eine besondere Bauform stellte die Kreek dar, die mit meterlangen Stangen gesteuert wurde und sich für die steilen Abfahrten an den Elbhängen in Blankenese vorzüglich eignete. Wobei das Rodel-Vergnügen ohne präparierte Rüüschbahn nur halb so groß war.
Auch ohne Schnee kann man dem Wort rüüschen begegnen, und zwar als afrüüschen, was nichts anderes als „durchprügeln“ heißt: De mütt eerstmaal afrüüscht kriegen! Demjenigen, dem man im Hochdeutschen droht: „mit dir werde ich Schlittenfahren“, dem ruft man auf Platt zu: Di warr ik glieks maal afrüüschen.
Übrigens: mit der hochdeutschen Rüsche hat rüüschen nichts gemein. Während hier die Zierde herrscht, geht es da um die Tücken und Freuden des Schlitterns – was auch die Gefühlslage eines Verliebten trefflich ins Bild holen kann: Dien Hart, dat is en Rüüschbahn, so iesig un so glatt...
Bi so veel Football – wat dor woll noch bi ruutsuert! Fußballergebnisse lassen sich naturgemäß nur schwer vorhersagen. Befinden sich gar noch mehrere Mannschaften im Turnier, fällt der Überblick schwer: Keeneen weet, wat dorbi ruutsuert. Nur die anerkannten Orakel sind in der Lage zu deuten, wat bi de letzten Veer noch allens bi ruutsuert.
Die Grundform zu ruutsuern ist suer. Dieses Wort kommt in vielen germanischen Sprachen vor, so kennt man niederländisch zuur, norwegisch sur, englisch sour und hochdeutsch sauer. Es beschreibt jeweils eine Geschmacksrichtung, darüber hinaus aber negative Empfindungen wie „unangenehm, schwer, böse“. Im Deutschen kennen wir die Ableitung versauern. Das plattdeutsche ruutsuern ist allerdings näher am Ursprung, der auf käsig gerinnende, schleimig-nasse Widrigkeiten anspielt.
Zumeist schwingt bei ruutsuern eine negative Erwartung mit: De Wulken sünd so swatt – wat dor woll noch bi ruutsuert! Wer unvoreingenommen ist, sieht allerdings kaum Gefahren oder Schwierigkeiten: Wi harrn ja keen Ahnung, wat dor ruutsuern kunn. Im Rückblick klingt dann allerdings recht deutlich die wenig gute Erinnerung durch: Wat dor so allens bi ruutbroodt un ruutsuert is, dat is to’n Wenen.
Übrigens: Dass ruutsuern auf Prozesse des Gärens anspielt, zeigt diese Redensart in besonders drastischer Weise: Schall mi verlangen, wat dor ruutsuert, sä de Bäcker, dor harr he in’n Trog scheten.
Kannst Di freien, dat Du den Schraffel vun Keerl los büst! Ist eine Beziehung in die Brüche gegangen, finden sich leicht grobe Worte gegen den ehemaligen Partner. Schraffel bezeichnet einen rundum verabscheuungwürdigen Menschen, wobei sowohl äußerliche wie auch charakterliche Merkmale gemeint sein können. De Schraffel hett ja meist keen Hemd över’t Lief to trecken sagt man von einem ärmlichen und unbedeutenden Menschen, während es über einen hinterhältigen Zeitgenossen nur verächtlich heißt: Wat is dat blots för’n schraffeligen Keerl!
Schraffel und schraffelig lassen sich wohl aus schrapen und der Intensivbildung schrappen ableiten. Das Wort stand ursprünglich für „kratzen, scharren“ und für das unangenehme Geräusch, welches dabei entsteht. Das englische scrape ist direkt damit verwandt, ähnlich wie das altfranzösische escraper für „abkratzen“. Es wird vermutet, dass all diese Formen einen niederdeutschen Ursprung haben.
Mitleid klingt mit, wenn es von einem Habenichts heißt: He is so’n rechten Schraffel, de nix in de Melk to krömen hett. Wobei klar ist, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten viele to’n Schraffel warrn köönt. Einem tölpelhaften Menschen mag man zurufen Du büst recht so’n Schraffel Achtteihn. Und über einen Gebrechlichen sagt man: He is man schraffelig op de Been. Schließlich lässt sich die negative Charakterisierung auch auf Gegenstände übertragen: Wat fohrst Du blots för en schraffeligen Wagen.
Übrigens: Meistens bedeutet Schraffel einfach nur „schlechter Mensch, Schurke“ – gleichgültig, ob die Bewertung gerecht ist oder nicht. So heißt es von dem einen oder anderen Politiker: Dat is ok blots so’n Schraffel, de dat Volk verdummt.
Fleesch wat, Kantüffeln satt un Schü dorto! Diese kulinarische Grundrezept stammt nicht etwa aus der Fast-Food-Zeit. Es zeigt vielmehr, dass die Menschen in Norddeutschland bereits vor Hunderten von Jahren eine eher gemüsearme Kost bevorzugten. Zu Fleisch und Kartoffeln gesellt sich hier als i-Tüpfelchen de Schü: eine kräftige Bratensoße, auch als Dip zum Eintauchen trockner Speisen. So ist Pellkantüffeln mit Schü für manchen ein Leibgericht. Und nicht nur Leckermäuler verlangen: Man orntlich en beten Schü to!
Das Wort Schü ist im Plattdeutschen erst seit gut 150 Jahren nachgewiesen. Es geht zurück auf das französische jus, das für „Saft, Brühe“ steht und über die Kochkunst Eingang in die deutschen Fachsprache der Köche gefunden hat. Und zwar in der eigentlichen Bedeutung: „durch Kochen von Fleisch gewonnener Fleischsaft, Sud“, aus der etwa auch das englische juice hervorgegangen ist. Wohl über den flüssigen Zustand der Schü hat sich im Plattdeutschen mit „Soße, Tunke, Fett, Bratensaft“ eine zweite Bedeutung entwickelt.
Besonders häufig begegnet Schü heute in zusammengesetzter Form als Slackermaschü oder Slabberschü. Die Wörter werden wohlwollend-scherzhaft für „Schlagsahne“ gebraucht. Der schaumige Zustand des nach dem Melken oben auf der Milch schwimmenden Fetts dürfte als Auslöser für diese Bedeutungserweiterung von Schü gedient haben. Jedes Leckermaul weiß: Nix geiht över Appelkoken mit en duppelte Portschoon Slackermaschü.
Übrigens: Zunehmend wird Schü aus dem Plattdeutschen verdrängt, und zwar von Sooß, das bekanntlich ebenfalls aus dem Französischen stammt. Es bleiben allerdings noch einige weitere Wörter zur Auswahl, etwa Stipp oder Stippels.
Vör so’n Spökenkieker muttst du di in Acht nehmen! Dass man Menschen mit magischen Kräften nicht unterschätzen sollte, wussten bereits unsere Vorfahren. Übersetzt man Spökenkieker wörtlich, so gelangt man zum Spuk-Kucker – das Wort bezeichnet also einen Hellseher, jemanden, der über das „zweite Gesicht“ verfügt. Warnung und Respekt klingen mit, wenn es heißt: De höllt dat mit Hexen un Spökenkieker.
Erkennbar ist die Verwandtschaft von Spöök und Spuk, zumal es häufiger vorkommt, dass plattdeutsche Wörter einen Umlaut aufweisen, während er im Hochdeutschen fehlt. Man denke an Söhn – Sohn oder Sünn – Sonne. Mit Gespenstern hat die ursprüngliche Bedeutung von Spöök dabei wenig zu tun. Die älteren Formen spok, spoka leiten sich her aus einem Tätigkeitswort spakan für „platzen, prasseln, lärmen“. In solchen Geräuschen sah man später eine Folge übernatürlicher Ereignisse, so dass sich Spöök in dieser Bedeutung verselbständigen konnte.
Die Tatsache, dass es spöken konnte, galt bis ins 20. Jahrhundert hinein als unbestritten. Man wusste, was man von Orten wie dem Spökelhuus oder dem Spökelsoot zu halten hatte. Und man wusste sich auch viel von der Spökelstunn oder der Spökeltiet zu erzählen. Von einem Spökenkieker hieß es beispielsweise, er könne in der Silvesternacht all diejenigen sehen, die im neuen Jahr sterben würden.
Dass man über einen Menschen mit solch geheimnisvollen Fähigkeiten keine Scherze machte, versteht sich von selbst; hieraus erklärt sich auch, dass der Spökenkieker und sein weibliches Gegenüber, die Spökenkiekersch, in nur wenigen Redensarten vorkommen. Erst der moderne Mensch behauptet: Ik glööv nich an Spökenkiekeree. Damit hat auch das Spökenkieker seine Bedeutung verändert: heute bezeichnet es gern auch jemanden, der „das Gras wachsen hört“: Laat em man snacken, den olen Spökenkieker.
Übrigens: Obwohl das Besprechen von Gürtelrosen in unseren esoterischen Zeiten wieder zum Alltag gehört, bleibt der Spökenkieker in der Vergangenheit. Jetzt gilt des Satz des Praktikers: Dat is hier keen Spökenkiekeree – ik wies di wo dat lang geiht!
Wat en staatsch Schipp! Wenn die Drei- und Viermaster bei der Windjammerparade majestätisch durchs Wasser gleiten, liegt die Bezeichnung staatsch nicht fern. Dieses Wort beschreibt alles, was ansehnlich und prachtvoll ist, und eine Verwandtschaft mit dem hochdeutschen „stattlich“ ist unverkennbar. Dabei wird mit diesem Wort gern auch ein Vergleich formuliert: Ut de lütte Deern is en staatsche Fro worrn.
Dass staatsch mit dem hochdeutschen Staat zusammenhängt, liegt auf der Hand. Wobei unser heutiger Begriff vom Staat als Gemeinschaft unter einer bestimmten Herrschaft oder Regierung erst seit 1677 in Deutschland belegt ist. Als Ausgangspunkt ist das lateinische status und damit stare für „stehen“ anzusehen. Staat fand zunächst in der Bedeutung „Stand“ Eingang in die deutsche Sprache; diese wurde dann enger gefasst zu „Stand des Vermögens“ und schließlich zu „kostspieliger Lebensunterhalt“.
Und auf den hieraus gebildeten Begriff von Prunk und Pracht, wie er sich etwa im „Sonntagsstaat“ erhalten hat, geht auch das plattdeutsche staatsch zurück. Und auch das Hauptwort ist noch vorhanden, allerdings zumeist im negativen Zusammenhang: Dor is keen Staat mit to maken. Typisch plattdeutsch an staatsch ist die Endung -sch, die das Eigenschaftswort markiert; andere Beispiele sind snaaksch, füünsch oder vigeliensch.
Bi em süht allens staatsch ut ist ein großes Lob für jedes Haus und jeden Betrieb. Die grundsätzlich positive Wertung kann aber auch in Kritik umschlagen, etwa wenn es heißt: Se warrt so staatsch, dat se nich mehr weet, wat se sik antrecken schall.
Übrigens: Die Aussprache von staatsch fällt landschaftlich recht unterschiedlich aus. In Hamburg und an der Niederelbe heißt es stootsch mit langem o wie in Ton, sonst hört man zumeist einen Laut, der wie das lange o in Torf klingt. Doch hier wie dort gilt: De Geld hett, mütt sik nich staatsch antrecken.
De Jung kriggt de Strietschoh gor nich mehr ut! Wenn im Winter die Seen und Gräben endlich einmal zugefroren sind, treibt es auch Stubenhocker zum Schnee- und Eisvergnügen. Neben dem Sleden oder der Kreek spielen dabei die Strietschoh eine ganz besondere Rolle. Das schnelle Dahingleiten über die Eisfläche ist eben doch eine ganz außergewöhnliche Art der Fortbewegung. Den Kindern jedenfalls bleibt für Hausaufgaben nicht viel Zeit: Wi gaht all tohoop to’n Strietschoh-Lopen.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Strietschoh ist keinesfalls mit „Streitschuh“ zu übersetzen. Zwar geht der erste Teil des Wortes auf strieden zurück, doch in diesem Fall eben nicht in der Bedeutung „streiten“, sondern „weit ausschreiten“ – verwandt mit dem englischen stride im Sinne von „lange Schritte machen“. Demnach sind Strietschoh Schuhe, die große Schritte erlauben und mit denen man besonders schnell vorankommt.
Weil viele Menschen diese Bedeutung aber nicht mehr erkannten, haben sich Nebenformen gebildet wie Striekschoh und Schrittschoh, auch das hochdeutsch beeinflusste Slittschoh kann man schon hören.
Anfänger auf dem Eis erkennt man leicht an ihren unbeholfenen Bewegungen. In Anlehnung daran sagt man von einem Betrunkenen: De löppt Strietschoh. Das Bild der glatten Eisfläche dient als Vorlage, wenn es von einer kräftigen Suppe heißt: Dor kann een Strietschoh op lopen. Auch der Vergleich mit einem kahlen Kopf bietet sich an: Dat is so glatt, dat de Lüüs dor Strietschoh op lopen köönt.
Übrigens: In Ostfriesland, der Region mit der reichsten Schlittschuh-Tradition in Norddeutschland, kennt man das Wort Strietschoh nicht. Hier nennt man die Kufen Schöfel, und ein Tätigkeitswort gibt es dazu auch: De is eerst en Minsk, wenn he schöfeln kann.
De Dannenbööm gaht weg as warme Stuten! Hocherfreut zeigen sich die Straßenhändler in der Adventszeit: die Kauflust der Menschen ist ungebremst, die Kasse klingelt. Wo das Hochdeutsche das Bild der berühmten warmen Semmeln bemüht, da werden auf Platt die Stuten zitiert. Im Norden nennt man jede Art von Weißbrot Stuten, das Wort steht aber auch für Feingebäck: Kuchen, Kringel, Heißewecken.
Das Wort Stuten ist erst rund 600 Jahre alt. Verbreitet ist es allein im westlichen Teil des niederdeutschen Sprachgebiets und bei den niederländischen Nachbarn. Die kennen stoet, ausgesprochen „Stuut“. Der Name Stuten ist abgeleitet von der ursprünglich an einen Oberschenkel erinnernden Form des Brotes. Insofern hängt Stuten mit Steiß zusammen und damit auch mit stoßen.
Zunächst unterschied sich der Stutenbäcker noch vom ordinären Bäcker, indem er nicht das übliche Graubrot, sondern edlere Brotsorten aus Weizenmehl und vor allem auch Gebäck herstellte. So unterschied man Weten-, Krüter- und die besonders leckeren Krinthenstuten.
Zahlreiche Zusammensetzungen mit Stuten belegen den hohen Stellenwert, den das Gebäck noch vor wenigen Jahrzehnten innehatte: Stutenkorv, -kist oder -kiep dienten der Stutenfro oder dem Stutendreger dazu, die frische Ware an die Hausfrau zu bringen. Weil diese ambulanten Händler aber auch gern Neuigkeiten und Gerüchte weitergaben, waren sie geachtet und gefürchtet zugleich. Und es galt: De sik för ’n Stuten utgifft, warrt ok dorför opfreten.
Übrigens: Als Leibgericht von Kindern galt in früherer Zeit Stuten un Söötmelk, und bis heute wissen die Erwachsenen den Genuss zu schätzen: Smooraal un Stuten gifft smerige Snuten.
As schull de Heben to Blocks gahn! Auch die dunkelsten Gewitterwolken werden kaum den Himmel zerstören können – oder präziser: außer Funktion setzen. Diesen Zustand beschreibt to Blocks treffend. Anwendbar ist to Blocks damit auf zahlreiche Situationen. Die Skala reicht von: Mit dat Eten-Kaken, dat is bannig to Blocks kamen – bis: In sien Leven is allens to Blocks gahn.
Der Block ist ein Flaschenzug, dessen Scheibe in einem Holzgehäuse läuft; verwendet wird er vor allem auf großen Segelschiffen. Block selbst setzte sich ursprünglich aus bi- und lok zusammen, wobei für lok als Bedeutung „schließen“ bzw. „Sicherheitsort, Öffnung, Spalte“ anzusetzen ist.
Bei vielen Arbeitsabläufen ist es notwendig, dass man dat Tau to Blocks hoolt. Dann wird es straff angezogen. Wer die Ladung allerdings zu dicht an den Block heranhievt, verursacht beim Flaschenzug eine Blockade. Zieht man das Tau zu stramm an, heißt es: He hett allens totaal to Blocks hievt.
Im menschlichen Leben gilt schon derjenige als to Blocks, der sich in die Enge getrieben fühlt, aber auch wer festsitzt und nicht mehr weiterkann, is to Blocks. Wenn es in der Beziehung kriselt, sagt man: Bi de beiden is de Fründschaft to Blocks kamen. Das gilt auch für wirtschaftliche Verhältnisse: Wo he sik dat Huus boot hett, is he böös to Blocks kamen. Verwendbar ist to Blocks für „in die Klemme geraten“, diesen Vorgang beschreibt to Blocks gahn. Als Zustand hingegen gilt to Blocks ween, das benutzt wird, wenn sich jemand in einer ziemlich ausweglosen Lage befindet. Andere Verben werden nur selten mit to Blocks kombiniert. Wer allerdings sein Auto in einer Sandkuhle festgefahren hat, hett sik to Blocks fohrt.
Übrigens: Das englische lock kommt der Ausgangbedeutung von Block und to Blocks noch recht nahe. Im Hochdeutschen sind daraus Formen hervorgegangen wie blockieren und Blockhaus, wobei das niederländische blokhuis bis heute auch „Wachturm“ bedeutet.
Dat is ja to un to schöön! Plattdeutsche Aussagen lassen sich auf unterschiedliche Weise steigern. Normale Freude drückt man aus mit: Dat is ja schöön. Gesteigerte Freude mit: Dat ja to schöön. Kaum zu überbieten sind aber Formulierungen mit to un to, wenn es etwa von einem schmackhaften Essen heißt: Dat hett wedder to un to goot smeckt.
Das plattdeutsche to entspricht der Form nach dem hochdeutschen zu, das allerdings in seiner Verwendung viel stärker eingeschränkt ist. So tritt to auf als Präposition (to Pott kamen), Adverb (vertell man to), Adjektiv (de Döör is to) und Konjunktion (se steiht to klönen). Und auch als Vor- und Nachsilbe tritt to auf: de Döör toballern oder: Dor heff ik meistto nich mehr mit rekent.
Häufig beschreibt to einen Zustand, der im Hochdeutschen nicht besonders ausgedrückt wird. Von einer einfachen Aufgabe heißt es: Dat is licht to. Eine Warnung enthält die Aussage: Dat is gau to. Als Vertrauensbeweis gilt: Dat glööv ik di to. Und über eine Hochschwangere sagt man: Dat is al teemlich wiet to mit ehr.
In anderen Fällen verwendet man to, wo das Hochdeutsche Formen mit auf kennt. Als Versicherung kann gelten: Dor kannst du di to verlaten. Und jeder vermeidet gern Themen, von denen er behauptet: Dor bün ik gor nich neeschierig to.
Übrigens: Liefert jemand eine Arbeit ab, die er selbst für präzise hält, die aber den Ansprüchen nicht gerecht wird, muss er sich sagen lassen: So genau is to genau!
Du hest di aver fix verköhlt! Wir haben uns längst daran gewöhnt: An feuchten und kalten Tagen hustet, niest und schnupft jeder Zweite. Wo man henhöört, sünd se verköhlt. Das plattdeutsche sik verköhlen entspricht dem hochdeutschen sich erkälten. Dabei können auch die betroffenen Körperteile genannt werden: Se hett sik den Kopp verköhlt. Oder: He hett sik al wedder den Hals verköhlt. Doch man kann sich schützen: Nimm blots dat Halsdook, dat du di ja nich verköhlst!
Während im hochdeutschen sich erkälten das Wort „kalt“ steckt, geht das plattdeutsche sik verköhlen zunächst auf „kühl“ zurück. Außerdem werden unterschiedliche Vorsilben gewählt. Das er- ist im Plattdeutschen ohnehin sehr selten, und auch in vertellen (für „erzählen“) oder verhalen (für „erholen“) findet sich die Vorsilbe ver-.
Bestens bewährt hat sich das Hausmittel: De verköhlt is, mutt düchtig sweten. Das Schwitzen befördern kann Fledertee, in ländlichen Gegenden schwörte man früher auch auf Heusaat: Bi Verköhlung hölpt Heisaat as Tee. Nach einem Rezept aus den Vierlanden solle man heißes Bier mit Ingwer einnehmen. In hartnäckigen Fällen – wenn es also heißt: Dat Water löppt em man so ut de Nääs, so verköhlt is he – reicht man Zwiebelsaft mit Kandis.
Wer gesund ist, spricht nicht gern über Erkältungen, schließlich will man keine Krankheit heraufbeschwören. Und nur sehr Mutige prosten sich beim kalten Bier zu: Verköhl di nich den Magen! Bildhaft kann es nach einer misslungenen Handlung heißen: He hett sik böös den Kopp verköhlt.
Übrigens: Dass eine Erkältung abklingt, andere unangenehme Erscheinungen aber dauerhaft sind, weiß der Volksmund sehr genau: De Tiet löppt gauer as en verköhlte Nääs!
Dat is en ganz vigelienschen Politikus! Was zunächst wie ein Nachhall auf eine Wahl klingt, ist nichts anderes als ein Lob für einen besonders geschickten Handwerker. Bekanntlich gibt es Menschen, de kriegt överall den Dreih hen, mag dat ok noch so vigeliensch un verdreiht ween. So ist der Tüftler ständig damit befasst, sik op vigeliensche Oort wat Nee’es uttoklamüüstern. Wer aber zwei linke Hände hat, gibt bald auf: Dat is mi allens to vigeliensch.
Erst im 18. Jahrhundert taucht das Wort vigeliensch im Plattdeutschen auf. Wahrscheinlich geht es auf vigilant zurück, ein Wort, das aus dem Französischen in die hochdeutsche Sprache übernommen worden war und „umsichtig, wachsam“ bedeutet. Wer also aufmerksam ist, wird auch vigeliensche Probleme lösen. In vigeliensch spielt zusätzlich die Vigelien, das plattdeutsche Wort für Geige, hinein.
Wenn Menschen als vigeliensch bezeichnet werden, unterstellt man ihnen zumeist Hinterhältigkeit: Dat is en ganz vigelienschen Keerl. Auf keinen Fall vertrauenswürdig ist so’n vigelienschen Gast. Wer beim Kartenspielen durch eine trickreiche Strategie glänzt, muss sich sagen lassen: Du speelst aver vigeliensch Koorten! Und vom Besserwisser heißt es: Klooksnacken kann he jüst so vigeliensch as en Afkaat. Drahtzieher jedenfalls kommen ohne List und Schlitzohrigkeit nicht aus, gerade bei heiklen Angelegenheiten gilt der Rat: Dat muttst du en beten vigeliensch anfaten.
Übrigens: Je nach der Situation kann vigeliensch positiv oder negativ gemeint sein. Klar ist aber die Wertung, wenn über einen Gast im Spielcasino gesagt wird: He speelt nich schöön, aver hooch, nich vigeliensch, dorför tüffelig.
Mit dat Vörjohr kümmt de Leevde. Dass Sonnenschein, Himmelsblau und warme Luft den menschlichen Hormonhaushalt beeinflussen können, ist hinlänglich bekannt. Das Vörjohr steht für viele Menschen für Neuanfang, für Wachsen und Gedeihen: In’t Vörjohr fangt all de Wischen an to grönen un to blöhen. Doch wer hinfällig ist, den wirft bereits ein Hauch um: Den weiht de Vörjohrswind üm.
Noch im Mittelalter bezeichnete man den Frühling zumeist mit dem niederdeutschen Wort lente. Leicht erkennt man die Verwandtschaft mit dem hochdeutschen Lenz, der den länger werdenden Tag beschreibt, in der Gegenwart aber fast nur noch poetisch gebraucht wird. Im Hochdeutschen benutzen wir Frühjahr neben Frühling.
Für die gesamte Jahreszeit kann man im Oldenburger Land auch Maitiet hören, ein Wort, das schon vor gut 600 Jahren belegt war. Heute ist Fröhjohr in den meisten Teilen des niederdeutschen Sprachgebiets geläufig. Vörjohr hält sich nur noch in einem Streifen von der niederländischen Grenze bis Hamburg, den Vorgänger vorjar kannte man ebenfalls bereits in der Hansezeit.
Anzeichen für die wärmere Jahreszeit gibt es viele, etwa: Wenn de Mullwupp in de Gangen is, steiht dat Vörjohr vör de Döör. Bestimmte Witterungen werden aber auch negativ gedeutet, so heißt es: Wenn dat Gewidder in’t Vörjohr över kahle Bööm treckt, gifft dat en unfruchtbor Johr.
Übrigens: Nicht nur in Hamburg vertreibt man Langschläfer gern aus dem Bett, indem man ihnen fröhlich zuruft: Rut mit den Moors an de Vörjohrsluft!
Wat nu woll wedder vörtüüch kummt?! Überraschendes kann einem in allen Lebenslagen begegnen. Dabei steht vörtüüch kamen für „zum Vorschein oder ans Licht kommen“. So kann man diesen Satz hören, wenn stolze Großeltern über die Fähigkeiten ihrer Enkel schwärmen. Mit einem skeptischen Unterton lässt sich Ähnliches über das Handeln von Politikern formulieren, vielleicht mit der Ergänzung: Dat Wohrheit kummt blots pö a pö vörtüüch.
Die wörtliche Übersetzung von vörtüüch, nämlich „vor oder für Zeug“, trägt nicht zur Deutung dieses Ausdrucks bei. Auch die parallele Konstruktion zu vördag kamen hilft nicht wirklich weiter. Weiter trägt vortugen, ein niederdeutsches Wort aus der Hansezeit, das nicht auf „Zeug“, sondern auf „Zeuge, Zeugnis“ verweist. Demnach ist das, was vörtüüch oder vertüüch kummt, nachweisbar und von einem Menschen zu bezeugen.
Fast immer kommt vörtüüch in der Wendung vörtüüg kamen vor. Zu den wenigen Ausnahmen zählt vörtüüch bringen – hier steht das Hervorbringen im Vordergrund: De Roos bringt Dag för Dag Blääd un Knuppens vörtüüch. Typische Handlungen zeichnen auch das eingespielte Paar aus: Se holt ehr Neihtüüch vörtüüch – un he musselt in de Tasch un kriggt en lütt Buddel vörtüüch.
Es versteht sich von selbst, dass die Menschen sich freuen über jeden Dag, den de Sünn vörtüüch kummt. Doch nicht immer ist das, was vörtüüch kummt zum Ansehen. Von einer Fragestunde heißt es: He kummt mit sien Anliggen vörtüüch. Und wer in einer brenzligen Lage seine Angst zu verbergen wusste, mag berichten: Ik bün mit mien Bangigkeit nich vörtüüch kamen.
Übrigens: Zeug, Zeugnis und auch Tüüch lassen sich auf eine Form mit der ursprünglichen Bedeutung „ziehen“ zurückführen. Davon ist allerdings wenig geblieben, wenn es von einer fröhlichen Tanzveranstaltung heißt: De Muskanten kregen all de olen Stücken vörtüüch.
Hüüt is Vullbuuksavend för Minsch un Veeh! Zu den besonderen Eigenschaften des Heiligen Abends gehört es heutzutage nicht mehr, dass man sich nach Kräften den Bauch vollschlagen darf. Das Wort Vullbuuksavend weist darauf hin, dass dies vor hundert Jahren noch ganz anders war: Wat frei ik mi op Vullbuuksavend. Das Recht, so viel zu essen, wie man konnte, billigte man vor allem Kindern und dem Dienstpersonal zu: Wiehnachtenavend is Vullbuuksavend, dor kann du düchtg tolangen.
Mehrfach im Jahr gibt es Vullbuuksavend, und zwar jeweils am Vortag eines großen Festes: Also am Heiligen Abend ebenso wie bereits eine Woche später am Silvester. Gereicht wurden besondere Gerichte, es gab viel Reis, auch Karpfen kam auf den Tisch und Apfelkuchen. Das Wort Vullbuuksavend wird eher scherzhaft oder in großer Vorfreude benutzt. Ansonsten kennt man auf Platt den Hilligen Avend oder den Wiehnachtenavend, früher sagte man auch Heilchristavend.
Die entscheidende Regel am Vullbuuksavend ist: Das Essen wird nicht zugeteilt: Vullbuuksavend, wo man sülven snitt un sülven itt. Man bestimmt nicht nur die Menge, die man zu essen gedenkt, selbst, sondern man darf die Fleischportion sogar selbst zuschneiden. Will jemand ein solches Privileg auch an normalen Tagen für sich in Anspruch nehmen, erfährt er schnell eine Absage. So begegnet man einem nörgelnden Kind mit: Bi di is woll Vullbuuksavend!
Übrigens: Die Erfahrung lehrt, dass die Augen meistens größer sind als der Magen: Wiehnachtenavend is Vullbuuksavend, sä de Jung: Harr ik en Liev as en Schüünfack un en Muul as en Koh – denn kunn ik wat laten.
Acker, Wischen un Veh – zumindest in früheren Zeit war damit die gesamte Landwirtschaft beschrieben. Wisch steht dabei für das Grasland. Dabei kann wie im Hochdeutschen zwischen Wisch und Weid bzw. Koppel unterschieden werden, doch in vielen Gegenden fasst Wisch die unterschiedlichen Nutzungen zusammen. Auf jeden Fall verspricht das satte Grün eine ausreichende Ernährung. Wem es gutgeht, der leevt as de Bull in de Wisch.
Die Verwandtschaft von Wisch mit der hochdeutschen Wiese ist offensichtlich. Diesen Wörtern liegt die Bedeutung „feucht“ zugrunde, was sich dann über „fruchtbar“ zu „Weide, Viehweide“ weiterentwickelt hat. Bereits vor 1200 Jahren war das niederdeutsche wiska belegt, auch hier bereits mit der sk-Nachsilbe, aus der später -sch wurde.
Im deutschen Südwesten sagt man in bestimmten Teilen Wiese, in anderen Matte. Dieses Wort, in dem auch die englische meadow zu erkennen ist, geht auf eine Form von mähen zurück. Es beschreibt im Gegensatz zur Weide also eine „Wiese, die gemäht wird“.
Auch wenn die Wisch selbst heute nicht mehr das Landschaftsbild in Norddeutschland dominiert, findet sich das Wort in zahlreichen Straßen-, Flur- und Familiennamen. Außerdem heißen verschiedene Dörfer Wisch, und Wischhaven gibt es auch noch.
Wer direkt auf sein Ziel zusteuert, geiht graad to as de Buer dörch de Wisch. Wer aber een över de Wisch jaagt, lässt eine Blähung fahren. Wendungen für den Friedhof sind de gröne Wisch und de grote Wisch. So heißt es von jemandem, dessen Leben sich dem Ende zuneigt: De kümmt bald na de gröne Wisch.
Übrigens: Das Bild von den selbstbewussten Großbauern hat sich bis heute wenig gewandelt: Wenn de Buer un de Bull op een Wisch sünd, denn sünd dor twee Beester.
dat mutt! Kürzer als auf Platt lässt sich eine pragmatische Grundhaltung kaum in Worte fassen. Und es ist wohl auch die prägnante Kürze, die dafür gesorgt hat, dass jeder Norddeutsche diesen Satz versteht. Zudem lässt sich die Wendung wahrlich in allen erdenklichen Situationen einsetzen: Wer sein Frühstücksbrötchen mit dickem Schinken belegt, bestätigt sich mit: Wat mutt, dat mutt, der Gewerkschafter, der zum Streik aufruft, rechtfertigt sein Tun mit: Wat mutt, dat mutt, der Firmenchef, sagt, wenn er Leute einstellt oder entlässt: Wat mutt, dat mutt, und wer sich eine Kaffeepause gönnt und die Zeitung zur Hand nimmt, legitimiert dies mit: Wat mutt, dat mutt.
Fragt man Platt-Sprecher, wie denn die Grundform zu mutt lautet, so haben die meisten Mühe, eine Antwort zu finden; ähnlich wie im Englischen, wo man auch nicht recht weiß, wo man must verbuchen soll. Auf Platt wird die Grundform von „müssen“, wie auch die von „dürfen“ oder „können“, so gut wie nie verwendet. Dies erklärt die Unsicherheit zwischen möten, moten und mutten. All diese Formen gehen zurück auf gemeingermanisches motan, das wiederum mit messen verwandt ist und die Verfügbarkeit von Raum, Zeit, Gelegenheit oder Kraft beschreibt.
Im altsächsischen motan für „Platz finden, Veranlassung haben“ haben sich Reste dieser Grundbedeutung erhalten, die auch mit „können“, „dürfen“ oder „mögen“ zu übersetzen sind. Heute hingegen verbinden wir mit mutt zumeist eine klare Notwendigkeit, etwa in der gängigen Formel für einen guten Grog: Rum mutt, Zucker kann, Water bruukt nich. Im allgemein-menschlichen Bereich drückt sich der Konflikt zwischen Neigung und Pflicht so aus: Dat eene, wat een will, dat anner, wat een mutt.
Übrigens: Wat mutt, dat mutt muss nicht allein stehen, sondern es wird gern ergänzt, und zwar mit der Absicht, ein Verhalten zu ironisieren: Wat mutt, dat mutt, sä de Buer, dor köfft he sien Fru en Fleut.
De Diek löppt üm dat ganze Warder rüm. Nur selten verwendet man heute das Wort Warder als normales Hauptwort. Seit dem 18. Jahrhundert wird Warder zunehmend durch Insel oder Eiland verdrängt. In Namen allerdings hat sich Warder erhalten. So finden sich im großen Plöner See Appelwarder und Rottenwarder, und ein Magdeburger Stadtteil heißt Werder, wobei eine Spitze dieser Elbinsel in den Karten als Großer Werder erscheint.
Am bekanntesten sind sicherlich die Hamburger Elbinsel, die Werder – oder Plattdeutsch: Warder – als zweiten Namensbestandteil führen. Man denke an Billwarder, Moorwarder, Ossenwarder, Oolwarder oder Finkwarder. Die Nähe zum Wasser lässt sich auf einer Insel nicht leugnen, und so konnte Gorch Fock stolz dichten: Finkwarder blifft Finkwarder un geiht ne van de See.
Der Ursprung von Warder liegt in der indogermanischen Wurzel uer (zu lesen: wer) mit der Bedeutung „abwehren“. Es ist also der schützende Charakter, welcher dem Warder seinen Namen verleiht. Heute bezeichnet das Wort eine Insel, Halbinsel oder erhöhtes, wasserfreies Land zwischen Sümpfen. In der Sprachgeschichte findet sich Wert neben Werder, wobei sich im Norden die Form auf -er durchgesetzt hat, während im Süden Wert häufiger anzutreffen ist, etwa in Donauwörth.
Im Niederdeutsch der Hansezeit ist neben Warder auch die Schreibung Werder belegt. Das heutige Platt kennt fast ausschließlich Warder, wobei hochdeutsches e vor r oft dem plattdeutschen a entspricht, so in: merken – marken oder Ferkel – Farken. Mehrheitlich wird Warder im Neutrum verwendet, also als dat Warder, daneben zeigt sich aber auch die maskuline Form de Warder.
Übrigens: Auch Werder Bremen verweist in seinem Namen auf eine Flussniederung – auch heute noch findet sich das Trainingsgelände der Fußballer in der Pauliner Marsch. Und gleich nebenan steht das Weserstation.
Wuddeln kann ik jeden Dag eten. Nicht nur Rohkostliebhaber mögen Mohrrüben bzw. Karotten – dabei zeigt sich, dass es auch im Hochdeutschen unterschiedliche Wörter für das gleiche Gemüse gibt. Der Norddeutsche kauft auf dem Wochenmarkt jedenfalls Wuddeln ein, anschließend muss man de Wuddeln schrapen. Die Anwendung reicht vom kalorienbewussten Feldsalaat mit Wuddelsnibbels bis zu den deftigen dicken Arften mit Wuddeln un Swienssteert.
Wie die hochdeutsche Wurzel steht Wuddel (mit Nebenformen wie Wortel oder Wöttel) zunächst einmal für die unterirdischen Teile einer Pflanze. Heute kaum noch zu erkennen ist, dass das Wort aus zwei Stämmen besteht: wurt und walu. Der erste Teil steht für „Zweig, Rute“, der zweite für „Stab, das Gewundene“. Eine wortgetreue Übersetzung lautet etwa „Krautstock“.
Bezogen auf Pflanzen bedeutet mit de Wuddeln „völlig, total“: De Störm hett de Bööm mitsams de Wuddeln utreten. Doch auch jeder Gärtner weiß: Du muttst dat Unkruut mit de Wuddeln utrieten. Dieses Bild lässt sich auch auf den Menschen übertragen: De Keerl döcht in de Wuddeln nix. Oder noch grundsätzlicher: He is al in de Wuddeln verdorven.
Für die Mohrrübe kennt man in den deutschen Mundarten eine ganze Reihe von Formen: Neben Wuddel im Norden gibt es Rööv und Mohrrübe im Nordosten, durch die Mitte zieht sich ein breiter Streifen mit Möhre, im Süden schließt die Gelberübe an, zudem spricht man in der Schweiz vom Rüebli und in Österreich vom Mehrla.
Übrigens: Der Gemüsebauer kann noch so fleißig sein – zu Reichtum wird er es nie bringen: Mit Wuddeln lett sik keen Huus köpen.
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